INTERVIEW
Romy Arnold
Stell dich bitte kurz vor!
Romy Arnold, 34 Jahre alt und ich komme aus Arnstadt. Ich bin Projektleiterin bei der Mobilen Beratung für Thüringen und gegen Rechtsextremismus (MOBIT). Ehrenamtlich bleibt leider nicht mehr so viel Zeit für Funktionen, aber ich bin weiterhin als Basismitglied in der SPD aktiv. Nebenbei bin ich auch Landesvorsitzende vom BdP Thüringen.
Wie definierst du “Weiblichkeit”? Welchen Einfluss hat das “Weiblich-Sein” auf dein Leben? Was würde sich in deinem Alltag verändern, wärst du nicht weiblich?
Ich habe keine Definition von Weiblichkeit und kann das auch nicht wirklich definieren – ich bin es einfach. Für mich selbst hatte das nie eine sonderliche Rolle gespielt und meine Eltern haben mich auch nicht spezifisch weiblich erzogen: neben dem Fußballspiel habe ich Karate- und Ballettunterricht. Ich habe mich in meiner Jugend auch nie benachteiligt gefühlt. Vieles hat sich bereits während des Studiums geändert, aber mit dem Eintritt in die Erwerbstätigkeit und damit, wie ich ja finde, auch in die richtige Erwachsenenwelt, hat sich da viel verändert. Meine Weiblichkeit beeinflusst meine Perspektive auf das Leben. Ich merke, dass ich andere Erfahrungen mache als männliche Personen und Sachverhalte anders bewerte. Vor allem musste ich mich immer anders behaupten als meine männlichen Wegbegleiter – immer etwas tougher, etwas belastbarer, etwas mehr von allem. Wäre ich nicht weiblich könnte ich vielen
Tätigkeiten und Begegnungen unbedarfter begegnen: ohne Sorge auch abends Laufsport machen, ohne Pfefferspray in der Hand im Dunkeln nach Hause gehen, ohne mulmiges Gefühl mit männlichen Vorgesetzten alleine in einem Raum sein.
Was macht eine ostdeutsche Biografie aus? Was macht dich ostdeutsch?
Ich bin 1986 geboren und habe demzufolge von der DDR und der Wende nicht mehr viel mitbekommen. In der Stadt aus der ich komme herrschte in meiner Kindheit eine krasse Arbeitslosigkeit und vieleMenschen sind in den Westen gezogen. Als ich in der dritten Klasse war, habe ich geweint weil ich in Mathe auf 3 stand und ich mir gesagt habe, dass ich dann bald arbeitslos sein muss und in den Westen gehen muss. Meine Mutter hatte das sehr erschrocken. Kinder bekommen oft mehr mit, als wir denken und ich wusste zwar nicht, was Arbeit überhaupt ist, aber die Angst vor der Arbeitslosigkeit und dem Existenverlust war so allgegenwärtig. Dass um dich herum immer mehr Häuser leer stehen, Firmen schließen, Menschen weggehen und sich niemand wirklich darum schert, ist eine recht typische Erfahrung für Menschen, die im Osten geboren sind. Das alles hat aber in der Politik oder in den Medien nie eine Rolle gespielt. Der Osten war stets das Sinnbild für eine dumme Witzfigur und auch wenn du kein:e Lokalpatriot:in bist: irgendwann fühlst du dich vom X-ten Ossiwitz einfach angegriffen. Statt uns wie nachgesagt um Bananen zu scheren mussten wir Nachwendekids vor Nazis weglaufen: ich war 13 Jahre alt, als ich von Nazis im Park überfallen und bespuckt wurde. Ich weiß bis heute nicht warum. Vielleicht waren meine Hosen zu weit, oder die Musik die ich hörte zu schwarz. Diese krasse Omnipräsenz von Gewalt und Faschos erschien mir total normal, bis zum Studium.
Fühlst Du dich politisch repräsentiert? Wenn Ja, wodurch? Wenn Nein, was fehlt?
Es gibt Menschen in der Politik, von denen ich mich repräsentiert fühle. Die kann ich aber an einer Hand abzählen. Mich stört es sehr, wieviele Westdeutsche in den Osten gekommen sind um hier den kurzen Karriereweg einzuschlagen und die aber überhaupt nicht verstanden haben, was es heißt diese Erfahrungen gemacht zu haben. Ich habe das Gefühl die Ostdeutsche Identität wird da eher ausgenutzt um einen politischen Vorteil zu erlangen. Die AfD z.B. fährt eine krasse Identitätspolitik für den Osten und hat doch im Prinzip keine Ahnung davon wie vielfältig die Perspektive Ost eigentlich ist und sich nicht in Wut und Enttäuschung erschöpft – mich macht das wütend. Das beschränkt sich aber auch nicht auf rechte Parteien. Ich will das nicht pauschalisieren, aber von einem ex Banker aus Westdeutschland z.B. fühle mich mich einfach null repräsentiert, egal wie oft da behauptet wird, man habe die Perspektive verstanden. Frauen meiner Generation kommt weder im Land- noch im Bundestag großartig vor.
Welche Ereignisse und/oder Umstände haben Dich politisiert?
Der Erfurter Amoklauf war ein sehr einschneidendes Ereignis. Als einer der Hauptgründe damals galt ja auch das Schulsystem. Jede:r Gymnasiast:in kannte diese Angst vor dem Scheitern, was aufgrund des Schulsystems zur Folge gehabt hätte, keinerlei Abschluss zu haben. Ich konnte einfach nicht verstehen, warum dieses offenkundig ungerechte System so lange bestand haben konnte und warum sich ein konservativer Kultusminister nach so einer Tat noch vor die Kameras stellt und behauptet, dass Schulsystem sei spitze und habe mit alldem nichts zu tun. Ich glaube das war das erste Mal, ich war damals 14, dass ich eine Zeitung in die Hand genommen habe und wir im Freundeskreis über Parteien und ihre Position diskutiert haben. Daneben sind mir in meinem Alltag immer mehr Ungerechtigkeiten bewusst geworden: z.B. das Märchen von den gleichen Startchancen im Schulsystem. Dann hatte ich das Glück ein paar (wenige) Lehrer zu treffen, die Schüler:innen ganz bewusst mit Politik und Gesellschaft konfrontiert haben, was mich dann dazu geführt hat Politik zu studieren.
Kannst Du Dir deine Zukunft im Osten vorstellen? Wenn Ja, warum?
Ich kann mir nicht vorstellen woanders zu leben als hier. Hier kenne ich mich aus und finde mich zurecht. Das klingt ultra provinziell, aber ich bin eine Weile durch die Weltgeschichte gereist und mir ist auf dem Weg bewusst geworden, was ich brauche um glücklich zu sein: Meine Familie und Freund:innen. Als meine Freund:innen nach dem Abi größtenteils weggezogen sind, war das wirklich hart. Glücklicherweise sind inzwischen einige wieder zurück nach Thüringen gezogen. Mir ist egal wie fancy und aufregend es irgendwo anders ist: Thüringen ist mein Herkunftsort, hier habe ich meine Erfahrungen gesammelt, hier sind meine Lieblingsmenschen und hier möchte ich auch Veränderung bewirken und mich einsetzen.