#3 Rezension für Dich und Mich: „Sprache und Sein“ von Kübra Gümüşay
von Ina Rapp, stellv. Juso-Landesvorsitzende
„Menschen so zu bezeichnen, wie sie bezeichnet werden sollen, ist keine Frage von
Höflichkeit, auch kein Symbol politischer Korrektheit oder eine progressive Haltung – es ist einfach eine Frage des menschlichen Anstandes.“
Sprache ist ein großes, einnehmendes Thema und genauso vielfältig und einnehmend ist auch Kübra Gümüşays Buch Sprache und Sein. Es geht darum, welche Macht Sprache hat, wie sie unsere Wahrnehmung auf die Welt und damit auch unser Handeln beeinflusst. Es geht um die Struktur von Sprache, wie sie funktioniert, wie sie für Gutes aber auch Schlechtes verwendet werden kann und uns und unseren Alltag ständig prägt. Sprache ist omnipräsent und dennoch wird unser alltäglicher Umgang damit so selten thematisiert. Doch wie kann eine neue Diskurskultur gestaltet werden? Und welchen Einfluss darauf, hat jede*e Einzelne darauf?
Gümüşay berichtet und reflektiert in ihrem Buch über ihre eigenen Erfahrungen, wie ständige Diskriminierung im Alltag emotional abstumpfen kann, von Morddrohungen als Reaktion auf ihre Veröffentlichungen und Hasskommentaren im Netz. Dabei wechselt sie im Buch zwischen eigenen und fremden Erfahrungsberichten, Anekdoten und wissenschaftlicher Erklärungen bestimmter Phänomene.
Jede Person hat ihre eigene Perspektive auf die Welt. Und jede dieser Perspektiven hat ihre Begrenzung und sorgt dafür, dass sich Kategorien bilden und Vorurteile aufbauen, beispielsweise, weil wir bestimmte Erfahrungen machen. Bestimmte Perspektiven werden aber dann problematisch, wenn sie zum Privileg werden und als scheinbar allgemeingültige Perspektive wahrgenommen wird. Um Privilegien deutlich und greifbar zu machen, nutzt Gümüşay das Bild eines Museums der Sprache, in dem es Benannte und Unbenannte Menschen gibt. Unbenannte Menschen können sich im Museum frei bewegen, sie werden als Standard wahrgenommen und ihre Existenz nicht hinterfragt. Das Museum bildet ihre
Perspektive der Welt ab, ist aber auch in dieser beschränkt und kann nur erfassen, was von den Unbenannten benannt bzw. erkannt wird. Benannte Menschen sind diejenigen, die von der Norm des Museums abweichen und dadurch auffallen. Sie werden nicht als einzelne Person wahrgenommen, sondern nur im Kollektiv. Sie werden als Gruppe benannt und auf die Eigenschaften, die sie von einer geltenden Norm abweichen lassen, reduziert. Sie befinden sich, um im Bild des Museums zu bleiben, in Glaskäfigen, wodurch sie von den Unbenannten nur als Teil eines bestimmten Kollektivs wahrgenommen werden. Damit wird ihnen das Privileg der Individualität genommen und frei als Individuum sprechen zu können.
Das Buch zeigt Privilegien auf und regt an den eigenen Gebrauch von Sprache, das eigene Benennen von Menschen zu hinterfragen. Wem hören wir eigentlich in öffentlichen Diskursen zu? Und wen lassen wir sprechen? Stereotypen machen unsere Wahrnehmung und damit unsere Welt klein und eindimensional. „Die Wechselbeziehung zwischen Sprache und politischer Unmenschlichkeit – um sie geht es mir in diesem Buch.“
Auf der Suche nach passenden Zitaten aus dem Buch für diese Rezension, bin ich beim Lesen an so vielen Stellen hängengeblieben, dass ich das Buch vermutlich ein zweites Mal gelesen habe. Das liegt wohl auch daran wie sprachlich überzeugend und verständlich der Text verfasst ist. Es ist sehr persönlich, gleichzeitig jedoch sachlich und flüssig zu lesen. Dabei sind die behandelten Themen schwer und regen nachhaltig zum Nachdenken und Reflektieren an.
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