Stell Dir vor, du bist ein Mensch, der zu dieser Jahreszeit in der Ukraine vor einer riesigen Einkaufshalle in einer Schlange(!) vor dem Eingang steht. Vor dir ziehen ältere Menschen den Vergleich mit der Sowjetunion. Denn da hat es ja auch immer Schlangen gegeben. Und tatsächlich, die Lage in der Ukraine wird von Tag zu Tag ernster. Aus den Regalen der Kaufhallen verschwinden alle Produkte, die Panik verbreitet sich ungeheuer schnell. Die Menschen fühlen sich an die grausame Seite der 90er erinnert. Die Wirtschaft kracht ein, der Wechselkurs zum Euro ist von 11 Hrywnja auf 16 Hrywnja geklettert. Die Menschen haben Angst.
Tatsächlich hat eine Revolution immer zwei Seiten. Eine gute und eine kritische. Wie sieht es in der Ukraine aus?
Die Vertreter der Demokraten und Demokratinnen, wie Ruslana oder Klitschko waren auf dem Maidan und haben gesprochen. Am Anfang hatten sie tatsächlich Menschen dazu bewegt, gegen das autoritäre Regime eines Mafiosi zu demonstrieren. Die Erinnerung an die Orange Revolution, wo nach dem autoritären Regime Kutschmas Mächte aufeinander prallten, sind noch frisch in der Erinnerung und wurden in den 10 Jahren nicht vergessen.
Es standen damals mit Wiktor Juschtschenko und Wiktor Janukowitsch zwei Personen als Stellvertreter des zugespitzten Konflikts auf dem Wahlzettel zur Präsidentschaft 2004. Erst im dritten Wahlgang wurde mit einer knappen Mehrheit der Stimmen Wiktor Juschtschenko als Präsident gewählt
Anstatt das Land zu stabilisieren, wurde nach den für die Nationale Front gewonnen Wahlen nur ein Kampf zwischen der damaligen Ministerpräsidentin Timoschenko und des Präsidenten Wiktor Juschtschenko ausgetragen. Hinterrücks wuchs die Korruption, die tief in jeder Institution verwurzelt ist, weiter, die Parlamentarier*innen haben sich immer mal wieder ins Auge gehauen und das Parlament geblockt. Die demokratische und europäische Idee ist unter Wiktor Juschtschenko (der nebenbei den Nazismus durch die Unterstützung der Reputation der Verbündeten der Wehrmacht (UPA) unheimlich gefördert hat) im Keim erstickt. Die Parteien blockierten sich gegenseitig, sodass durch eine unfaire Wahl der vor wenigen Tagen gestürzte Janukowitsch das höchste Amt des Staates bekleiden konnte. Die Partei der Regionen erhielte zusammen mit der KPU (Kommunistische Partei der Ukraine) die Mehrheit in dem Parlament, Swoboda – eine nazistische Partei schaffte erstmals den Einzug in die Duma. Und seit Neuestem ist der Vorsitzende dieser Partei der 1. Stellvertreter des Premier-Ministers in der Übergangsregierung.
Die Ideologie der „Ukraine für Ukrainer“ spricht vor allem viele ukrainisch Sprechende in der Westukraine an. Dagegen sind viele Teile der Bevölkerung in der Ost-Ukraine nur mit Russisch aufgewachsen. Die seit Wiktor Juschtschenko geförderte Politik für die Ukrainische und gegen die russische Sprache, die viele in der Ostukraine auf die Straßen getrieben hat, spaltete das Land weiter. Dieser Beschluss entfernte die beiden Teile des Landes noch weiter voneinander.
Vor allem auf der Krim, wo der höchste Anteil an Russischsprachigen lebt, hat man damals zu großen Teilen Janukowitsch für gut empfunden – Er spielte als Ostukrainer mit den Forderungen nach einer zweiten Amtssprache in den Wahlkampf hinein – und wurde vor allem deshalb gewählt. Die Tatsache, dass sich die führenden Verantwortlichen der Autonomen Republik Krim in der Krise zu dem gescheiterten Präsidenten bekennen kommt allein nur aus der Angst „ukrainifiziert“ zu werden. Die besondere Verbindung zu Russland wird durch Putin ausgenutzt. Das russische Staatsfernsehen tut vieles daran, die EU als Partner in Misskredit zu bringen. Das ist ein weiterer Grund, dass die Fronten verhärtet werden.
Natürlich spielen viele Emotionen eine Rolle. Doch die Entwicklung zeigt: Die EU hat alles daran gesetzt, den „Euromaidan“ zu unterstützen, hat aber zu spät gemerkt, dass dieser sich wandelt. Das wahrscheinlich durch Radikale zerstörte Hauptquartier der europafreundlichen Opposition war ein Zeichen dafür, dass Verhandlungen mit ALLEN Seiten geführt werden müssen.
Das heißt auch, dass Russland miteinbezogen werden muss. Der Weg zur Demokratie und zu einem stabilen Staat ist zwar definitiv steinig, er darf aber nicht blutig sein. Die Ukraine braucht jetzt eine tatsächliche Beitrittsperspektive zur EU – mehr als jeher. Die Menschen, die für eine europäische Ukraine demonstrieren, brauchen eine neue Hoffnung – denn sie verlieren langsam den Mut. Außerdem muss Nichtregierungsorganisationen stärker unter die Arme gegriffen werden. Der Schutz der Menschenrechte und die Vermittlung zwischen den verschiedenen Parteien und Bevölkerungsgruppen und Machhabenden sind gerade jetzt bitter nötig.
Jetzt muss es gelten: Frieden bewahren, Demokratisierung vorantreiben, dem hochverschuldeten Land Spielräume zu geben.
Oleg Shevchenko ist Kreisvorsitzender der Jusos Unstrut-Hainich. Er wurde in Simferopol geboren und hält die Jusos Thüringen regelmäßig über Ereignisse und politische Entwicklungen in Osteuropa auf dem Laufenden.
Hallo Oleg,Denken Sie, dass die USA der Ukraine helfen sollte? Oder sollte nur die EU helfen?