Im Zuge der Reform des Thüringer Hochschulgesetzes hat die rot-rot-grüne Landesregierung leider die Chance versäumt, bezahltem Studium eine klare Absage zu erteilen. Auch im neuesten Entwurf, der noch 2017 zur Abstimmung stehen soll, bleiben Langzeitstudiengebühren weiterhin enthalten und werden nicht einmal abgeschwächt. Obwohl sich alle drei Parteien zu kostenloser Bildung für alle Menschen bekennen, scheinen in der Praxis Langzeitstudiengebühren nicht als das wahrgenommen zu werden, was sie sind: eine Gebühr, die Menschen davon abhält zu studieren und so soziale Ungleichheit verschärft.

Es ist schlimm genug, dass das Konzept der Regelstudienzeit überhaupt so in unserem Hochschulsystem existiert. Seit der Einführung des Bachelor-Master-Systems hat sich eindrucksvoll gezeigt, dass die Regelstudienzeit nicht in der Realität der Student*innen vorkommt. Die Zahl derer, die ihr Studium innerhalb dieser vorgegebenen Zeit abschließen, ist weit abgeschlagen im Vergleich zur Zahl aller Studienanfänger*innen oder Absolvent*innen. Auf der Grundlage dieser willkürlichen Anzahl an Semestern, die angeblich ausreichen soll, ein Studium abzuschließen, wird nun eine Gebühr erhoben.

Es wird sehr gerne von konservativen Politiker*innen argumentiert, dass es sogenannte „Bummelstudenten“ [sic!] geben würde, die durch diese Gebühren angehalten werden sollen, ihr Studium in „angemessener“ Zeit abzuschließen. An dieser Aussage finden sich mehrere problematische Aspekte. Zuallererst die Annahme, dass jede*r Student*in, der*die nicht innerhalb der Regelstudienzeit inklusive ein paar zusätzlichen Semestern das Studium abschließt, dies aufgrund eines Mangels an Zielstrebigkeit oder Disziplin tut. Bei immer mehr Angeboten und immer jüngeren Studienanfänger*innen ist es eine infame Unterstellung, dass Student*innen ihr Studium bewusst in die Länger ziehen würden. Insbesondere Student*innen, die in den Graubereich von nicht ausreichender Finanzierung durch ihr Elternhaus aber mangelndem BAföG-Anspruch fallen und ihr Studium durch Lohnarbeit finanzieren müssen, übertreffen häufig die Regelstudienzeit. Ihnen gegenüber scheint der Vorwurf besonders grausam und zeigt ein weiteres Problem in der Studienfinanzierung.

Das zweite große Problem ist die Annahme, dass Gebühren per se abschreckend wären, was die ökonomisch sehr unterschiedliche Ausgangslage vieler Student*innen außen vorlässt. Für manche sind ein paar hundert Euro mehr pro Semester keine große Belastung, weil sie über einen finanziellen Hintergrund verfügen, der ihnen das ermöglicht. Sie haben also die Möglichkeit ihr Studium trotz zusätzlicher Gebühren weiter zu verfolgen und sich darin zu verwirklichen. Jede noch so gering erscheinende Gebühr kann aber für einen anderen jungen Menschen, der nicht über den notwendigen finanziellen Rückhalt verfügt, davon abhalten ein Studium zu verfolgen. In manchen Fällen mag das dazu führen, dass das Studium abgebrochen wird. In anderen, dass ein Fachwechsel nicht in Frage kommt, obwohl das aktuelle Fach nicht das richtige ist. Unter dem Strich bleibt die Erkenntnis, dass die abschreckende Wirkung von Langzeitstudiengebühren angezweifelt werden darf – wenn nicht sogar komplett verworfen.

Es entspricht nicht dem Menschenbild sozialdemokratischer Politik den Zugang zu Bildung von ökonomischen Umständen abhängig zu machen. Wenn eine Landesregierung mit sozialdemokratischer Beteiligung darüber nachdenkt zur Finanzierung von Bildungseinrichtungen Studiengebühren in beliebiger Form zu erheben, dann sind offensichtlich die Ideale dem Pragmatismus zum Opfer gefallen. Es entspricht natürlich der Realität, dass das deutsche Bildungssystem nicht ausfinanziert ist. Dies über Gebühren auszugleichen, ist aber der falsche Ansatz. Von der Sozialdemokratie darf man erwarten, dass sie das erkennt und weiß, dass eine gerechte Gesellschaft ihre Ausgaben über ein gerechtes Steuersystem deckt. Dies liegt zu großen Teilen nicht im Handlungsspielraum einer Landesregierung, aber eine klare Absage an Gebühren in jedweder Form zur Finanzierung eines Studiums sind wichtig in Zeiten des Erstarkens reaktionärer Kräfte. Eine Nachbesserung des Gesetzesentwurfes ist somit dringend notwendig und ganz klar in der Verantwortung der SPD-Landtagsfraktion. Vor der Verabschiedung der Gesetzesänderung besteht noch die Möglichkeit Änderungen vorzunehmen. Es ist an der Zeit für eine klare, mutige und linke Reform, die einen wichtigen Beitrag dazu leistet, Gebühren in all ihren Formen aus der Bildung zu verbannen.

Tristan Kreuziger, Mitglied der Juso-Hochschulgruppe Jena

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