Kritik an den Arbeitsmarktreformen ist in den vergangenen Jahren immer wieder und von verschiedenen Akteuren laut geworden. Die Höhe der Regelsätze ist dabei eines der emotionalsten Themen. So scheint das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, welches bestätigte, dass ein menschenwürdiges Leben mit den bestehenden Sätzen nicht möglich ist, längst überflüssig. Kritisiert wird neben der unzureichenden Höhe der Eckregelsätze auch immer wieder die mangelnde Intransparenz bei der Berechnung. So ist nach wie vor nicht ersichtlich, auf welcher Grundlage einzelne Aspekte in die Berechnung einfließen.

Die Jusos haben auf diese Schwachstelle schon seit Jahren hingewiesen und schließen sich den Forderungen der Sozial- und Wohlfahrtsverbände nach einer schnellen und spürbaren Erhöhung dieser Sozialleistungen an. Die Kritik der kommunalen Spitzenverbände ist aus Sicht der Jusos zwar nachvollziehbar, aber nicht haltbar. So ist durchaus zu verstehen, dass die Kommunen die Last der Erhöhungen nicht allein tragen wollen; insbesondere vor dem Hintergrund der Finanzlage in den Thüringer Kommunen sind diese Einwände berechtigt. Ursache für die desolate Haushaltslage sind neben der Wirtschaftskrise aber vor allem die Entscheidungen der Bundesregierung, welche die Zeichen der Zeit völlig verkannt hat. Die Entlastung höherer Einkommen hatte die Belastung der Kommunen zur Folge. Dementsprechend wäre Kritik hier weit besser angebracht. Die Finanzsituation von Bund, Land und Kommune darf aber nicht rechtfertigen, dass Urteil des BVG sang- und klanglos untergeht. Vielmehr muss eine zügige Erhöhung der Grundsicherung folgen. Grundlage der Neuberechnung sollte eine Orientierung an den Bedürfnissen der Menschen sein, nicht an ihrer vermeidlich nicht erbrachten Leistung. Im Vordergrund muss die Verantwortung der Gesellschaft für ihre Mitglieder stehen. Die Folgen der missglückten Gesetzgebung dürfen nun nicht noch auf dem Rücken derer ausgetragen werden, die unter der Finanzmarktkrise ohnehin schon am meisten zu leiden haben.

Die Beanstandung der kommunalen Spitzenverbände, dass Lohnabstandsgebot müsse Berücksichtigung finden, damit ein ausreichender Anreiz für Arbeitslose geschaffen werde, eine Anstellung anzunehmen und sich nicht in der sozialen Hängematte auszuruhen, zeigt welche Vorurteile gegenüber Arbeitslosen nach wie vor bestehen. Dieser immer wieder ausgesprochene Generalverdacht ist unerträglich. Die meisten Arbeitslosen wollen arbeiten und ihren Lebensunterhalt selbst erwirtschaften. Richtig und wichtig ist die Forderung nach einem positiven Lohnabstandsgebot. Dementsprechend darf es hier nicht um möglichst niedrige Transferleistungen gehen, sondern um eine entsprechende Anhebung von Löhnen, damit sich Arbeit wieder lohnt.

Die Neuberechnung der Regelsätze ist dabei jedoch nur ein erster Schritt: Das Urteil des Karlsruher Gerichtes ist eine gute Gelegenheit die Arbeitsmarktgesetzgebung generell zu überarbeiten. Die Hartz-Reformen haben zu einer Veränderung des sozialen Klimas beigetragen. Den damit verbundenen Regelungen gilt es sich mit einer umfassenden, tiefgreifenden und ernstgemeinten Reform zu widmen. Das Menschenbild, welches mit der gegenwärtigen Arbeitsmarktpolitik reproduziert wird: der faule Arbeitslose, der nicht arbeiten will und der durch Sanktionen aufgefordert werden muss entspricht nicht der gesellschaftlichen Realität.  Sanktions- und Zumutbarkeitsregelungen, zum Teil schon aus dem SGB III übernommen, können aus diesem Grund keine Wirksamkeit erzielen. Vielmehr tragen sie zu einer gesellschaftlichen Stigmatisierung und der zunehmenden Ausgrenzung von Arbeitslosen bei. Sie befördern eine Debatte um Sozialschmarotzer, welche gesellschaftliche Fürsorge nicht verdient hätten, weil sie keine angemessene Gegenleistung erbringen. Die Regelungen zu den Bedarfsgemeinschaften führen weiterhin nicht nur zu einer, oftmals unfreiwilligen Abhängigkeit junger Menschen von ihrer Eltern, auch Frauen werden sukzessive in Abhängigkeit ihrer Partner gehalten, eine eigene Lebensgrundlage wird unmöglich. Das Antragsprozedere ist entwürdigend und unter datenschutzrechtlichen Aspekten fragwürdig. Nicht zu vergessen sind die Gesetze, die massiv zur Liberalisierung und Deregulierung des Arbeitsmarktes beigetragen und zur Ausbreitung prekärer Beschäftigung damit einen zentralen Beitrag geleistet haben. Unter der, inzwischen überwiegend akzeptierten Folge, der Substitution regulärer Beschäftigung, leiden vor allem die, die ohnehin schon Schwierigkeiten im Zugang zum Arbeitsmarkt haben: Niedrigqualifizierte, Frauen oder auch MigrantInnen sind überdurchschnittlich  häufig auf staatliche Leistungen angewiesen. Zugleich tragen sie langfristig einerseits zu einer Entwertung von Qualifikationen bei, zum anderen sind sie nicht das gewünschte „Sprungbrett“ in reguläre Beschäftigung.

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