Lieber Carsten,
liebe Iris,
lieber Steffen-Claudio,

am vergangenen Freitag habt ihr im Bundestag in erster Lesung über das sogenannte Asylpaket II beraten, am 25.02.2016 wird es zur Abstimmung stehen. Wir  als Landesvorstand der Jusos Thüringen  wenden uns mit diesem Brief an dich, um dich zu bitten, dieser weiteren Verschärfung des Asylrechts, die aus unserer Sicht sozialdemokratischen Grundwerten entgegensteht, nicht zuzustimmen. Wir möchten dir kurz unsere Gründe dafür darlegen.

  • Mit dem Asylpaket II soll der Familiennachzug für Menschen mit „subsidiärem Schutz“ für zwei Jahre ausgesetzt werden. Dies betrifft auch unbegleitete minderjährige Geflüchtete, die ihre engen Familienmitglieder nicht länger nach Deutschland nachholen dürfen. Schon die Humanität verbietet es, Kindern und Jugendlichen, die eine trauma­tisierende Flucht hinter sich haben, zuzumuten, dass sie anschließend für mindestens zwei Jahre ohne ihre Familie hier leben müssen. Dies stellt eine nicht hinzunehmende persönliche Belastung dar, ist ein großes Hindernis für die Integration,  verstößt gegen die UN- Kinder­rechtskonvention und ist mit sozialdemokratischen Werten nicht vereinbar.
  • Die neue Regelung zur Aussetzung des Familiennachzugs wiederspricht unserem Beschluss vom SPD-Bundesparteitag 2015. Mit dem Beschluss des Asylpakets II würde die Aussetzung des Familiennachzugs nicht nur für eine kleine Gruppe von ca. 1800 Menschen gelten, sondern auch für syrische Geflüchtete die subsidiären Schutz erhalten. Unter Subsidiären Schutz stehen etwa 20% der bisher nach Deutschland gekommenen syrischen Geflüchteten und damit eine signifikant größere Gruppe. Der SPD-Bundesparteitag sprach sich klar gegen eine solche umfassende Regelung aus. Unsere Partei hatte dafür gute Gründe:
    „Familiennachzug und Integration hängen stark zusammen. Deshalb muss das Recht auf Familiennachzug für alle gelten, die eine Bleibeperspektive in Deutschland haben. Um das Tempo des Zuzugs zu verringern, wird der Familiennachzug bei den heute subsidiär Schutzberechtigten (ca. 1.800 Personen) erst nach zwei Jahren ermöglicht. Momentan nehmen wir viele Menschen auf, die vor Kriegen geflohen sind. In ihren Heimatländern waren sie großer Gefahr ausgesetzt. Ihre Familienangehörigen, die sie zurücklassen mussten, sind oft noch in Lebensgefahr. Diese Belastungssituation wirkt sozial destabilisierend und ist hinderlich für die Integration in unsere Gesellschaft. Der grundgesetzlich garantierte Schutz der Familie gilt unabhängig von der Herkunft.“ (Bundesparteitagsbeschluss Nr. 4 2015 „Solidarität und Verantwortung in Staat und Gesellschaft“, S. 8f.)
  • Auch viele Genossinnen und Genossen der Thüringer SPD haben sich für das uneingeschränkte Recht auf Familiennachzug stark gemacht. Auf dem Landesparteitag der SPD Thüringen im November 2015 haben sich zahlreiche Genossinnen und Genossen an einer Fotoaktion der Jusos Thüringen beteiligt, um deutlich zu machen, dass sie den Familiennachzug als ein Menschenrecht erachten (Die Fotos könnt ihr euch auf der Facebookseite der Jusos Thüringen ansehen.). Dies betrifft unter anderem:
    • Heike Taubert, stellv. Ministerpräsidentin des Freistaas Thüringen, Thüringer Finanzministerin, stellvertretende Vorsitzende der SPD Thüringen
    • Wolfgang Tiefensee, Thüringer Minister für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft
    • Jakob von Weizsäcker, MdEP
    • Steffen Claudio Lemme, MdB
    • Georg Maier, Staatssekretär im Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft
    • Antje Hochwind, Landrätin des Kyffhäuser Kreises und stellvertretende Vorsitzende der SPD Thüringen
    • Dorothea Marx, MdL und Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion im Thüringer Landtag
    • Frank Warnecke, MdL und stellv. Vorsitzender der SPD-Fraktion im Thüringer Landtag
    • Diana Lehmann, MdL und migrationspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Thüringer Landtag
  • Das geplante Gesetzhebelt für viele Flüchtlinge ein angemessenes und faires Asylverfahren aus: Alle Flüchtlinge aus sogenannten „sicheren Herkunftsländern“, alle Flüchtlinge, die einen Folgeantrag gestellt haben, weil sich ihre Situation grundlegend verändert hat, sowie alle Schutzsuchenden ohne Papiere sollen künftig beschleunigten Asylverfahren unterworfen werden, die in nur einer Woche abgeschlossen werden sollen. Wir sehen diese Art der beschleunigten Verfahren kritisch. Es ist nicht erwiesen, dass es in nur einer Woche möglich ist, Fluchtgründe individuell, fair und sorgfältig zu prüfen. Insbesondere für Kranke, Traumatisierte, Minderjährige oder andere in hohem Maße schutzbedürftige Menschen sind die Schnellverfahren besonders katastrophal, da trauma­tisierte Menschen viel mehr Zeit als eine Woche brauchen, um stabil genug für eine Anhörung zu sein und ihre Asylgründe detailliert vorzulegen.
  • Anders als die Bundesregierung suggeriert betreffen die geplanten Schnellverfahrennicht nur einen kleinen Teil der Asylsuchenden. Aufgrund der Bestimmung, dass Geflüchtete ohne Pass Schnellverfahren unterzogen werden können, ist ein Großteil der Schutzsuchenden von den Eilverfahren bedroht. Denn wer verfolgt wird und untertauchen muss, kann in der Regel keine Papiere mitnehmen. Ohne Pass zu sein ist typisch für Menschen auf der Flucht.

Wir bitten dich daher, dich für sozialdemokratische Grundwerte einzusetzen und dem Asylpaket II nicht zuzustimmen. Bitte vergiss nicht, dass Menschenleben von deiner Entscheidung abhängig sind. Die Begrenzung des Familiennachzugs bedeutet nicht, dass weniger Menschen kommen, sondern nur, dass noch mehr Menschen auf den gefährlichen Fluchtrouten sterben werden. Die SPD kann in der aktuellen Diskussion um die Situation Asylsuchender nur dann gewinnen, wenn sie schlüssige Lösungen entwirft, wie Integration in Arbeit und Bildung gelingen kann, nicht aber, wenn sie auf die ständige Diskursverschiebung nach rechts mit immer erneuten Verschärfungen des Asylrechts reagiert. Allein wenn die SPD einen eigenen sozialen, demokratischen und offenen Kurs einschlägt und sich auf ihre Grundwerte besinnt, kann sie auch wieder erfolgreich werden.

Im Namen des Landesvorstands der Jusos Thüringen
und mit solidarischen Grüßen
eure Saskia

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