Ein Blogbeitrag von Antonia Hemberger, stellv. Juso-Bundesvorsitzende aus Thüringen
Wieder eine Krise. Innerhalb weniger Wochen hat sich der Alltag vieler Europäer*innen grundlegend verändert. Ausgangssperre, Anstehen vor dem Supermarkt und per Videoschalte auf ein Bier mit Freund*innen treffen gehören genauso zu dieser neuen Realität wie der Anstieg häuslicher Gewalt, die Betreuung von Kindern ohne Hilfe von Schule oder KiTa und Existenzängste, weil auf einmal jegliche finanzielle Sicherheit wegfällt. Diese Krise betrifft alle Menschen, aber nicht auf die gleiche Weise.
In diesen Tagen begegne ich oft der Aussage „Wir sitzen alle im selben Boot“. Auf den ersten Blick ist es wohl so, denn egal, was wir uns für Pläne und Ziele für 2020 gemacht haben, die Bewältigung einer Pandemie gehörte sicher nicht dazu. Corona traf Europa mit voller Wucht.
Doch abhängig von der finanziellen Situation, dem Ort, an dem man lebt und anderen persönlichen Umständen, trifft es nicht alle Menschen mit der gleichen Härte. Soziale Ungleichheit wird in einer Krise nicht außer Kraft gesetzt – im Gegenteil: sie entfaltet sich in all ihren Facetten. Probleme und wichtige Fragen, die man in der Vergangenheit nicht nachhaltig gelöst hat, bekommen in dieser Krise eine neue Brisanz.
Während viele von uns in Deutschland Anfang März die einzige Wirkung von Covid-19 in ausverkauften Dosenravioli und verschiedenen Händewasch-Songs bemerkten, wurden die ersten Regionen in Italien abgesperrt und tausende Schutzsuchende strandeten auf den griechischen Inseln in der Ägäis. Jedes Land in Europa schaute nun zu aller erst auf sich: schloss Grenzen und schaute, woher es am schnellsten Schutzbekleidung bekommen könnte. Das Bild eines offenen und solidarischen Europas, wie man es vor ziemlich genau einem Jahr bei den Europawahlen malte, offenbarte mal wieder reihenweise Makel.
Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet die Länder am stärksten von der Corona-Krise betroffen sind, denen seit der Eurokrise im Zuge einer kurzsichtigen Austeritätspolitik vom Norden Europas Sparzwang verordnet wurde. Die Spuren, die dabei im Gesundheitssystem hinterlassen wurden, werden in diesen Wochen deutlich sichtbar. Dass Deutschland Patient*innen europäischer Nachbar*innen aufnimmt ist richtig und zeugt von Solidarität, aber es kann nicht über die kaputten Rahmenbedingungen hinwegtäuschen, die das überhaupt erst erforderlich gemacht haben. Länder, wie Italien brauchen europäische Unterstützung in dieser Krise – und erwarten diese auch. Dass sich die europäischen Finanzminister*innen vor einer Woche auf ein Corona-Paket mit Unterstützungskrediten, ESM-Mitteln und einem Programm für ein Europäisches Kurzarbeiter*innengeld verständigt haben, war ein wichtiger Schritt. Wer aber das Volumen des EU-Pakets mit dem eines einzelnen Landes wie Deutschland vergleicht, stellt schnell fest, dass diese Maßnahmen nicht ausreichen werden, um die massiven wirtschaftlichen Folgen der Krise abzufedern. Der Streit um sogenannte Coronabonds, also gemeinsame europäische Anleihen, hat hier eine Schlüsselrolle eingenommen. In Italien und Spanien wird das Zögern und Abwinken von Staaten wie Deutschland als ein Verweigern von europäischer Solidarität wahrgenommen. Die Rechten der Lega nutzen genau das aus und schlagen daraus politisches Kapital. Die anti-europäische Stimmung wächst in Italien und die Lega führt klar in den Umfragen. Es ist also höchste Zeit, dass der Norden Europas dem Süden zur Seite steht und ihn nicht im Stich lässt.
Unsere Solidarität brauchen auch die Schutzsuchenden, die aktuell auf den griechischen Inseln ausharren. Seit Wochen sind die Zustände in den überfüllten Lagern katastrophal. Wo 20.000 Geflüchtete auf Platz für eigentlich 3.000 Menschen leben und sich Tausend Menschen sich einen Wasserhahn teilen, da ist an #socialdistancing nicht zu denken. Diese Bedingungen sind grundsätzlich inakzeptabel und in Zeiten einer Pandemie sind sie schlichtweg brandgefährlich. Länder wie Griechenland oder Italien werden mit der Verantwortung für Geflüchtete zu oft allein gelassen von ihren europäischen Nachbar*innen. Seit Jahren blockieren die EU- Mitgliedstaaten im Europäischen Rat Lösungen. Eine faire Verteilung der ankommenden Geflüchteten und die Gewährleistung ihres Rechts auf Asyl wird so verhindert und provoziert die Bilder, die wir von den EU-Außengrenzen seit Wochen bekommen.
Gleichzeitig nutzen autoritäre Kräfte in Ungarn und Polen die aktuelle Krise, um die Demokratie einzuschränken und repressive Gesetze durchzudrücken. Die anderen EU-Staaten dürfen das nicht billigend in Kauf nehmen.
Die angesprochenen Beispiele zeigen, wie dringend wir europäische Solidarität in diesen Wochen und Monaten brauchen. Die Corona-Krise ist zu einer Zerreißprobe für Europa geworden. Die EU-Staaten müssen zeigen, wie ernst ihnen der Zusammenhalt in Europa und in der Währungsunion ist, damit die Lecks im Boot EU schnellstmöglich geschlossen werden können und die europäische Idee in dieser Krise nicht untergeht.
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