Die Delegation der Jusos Thüringen in den Nahen Osten, bestehend aus Sophia Othmer, Maurice Riesche, Lina-Sophie Horn, Janina Bungarten, Gero Reich, Carolin Lambotte, Lukas Kiehne, Saskia Scheler und Oleg Shevchenko fassten ihre Eindrücke von den 8 gemeinsamen Tagen in diesem Blogbeitrag zusammen:

31. März: Der Ausflug eine ehemalige sozialistische Stadt

Der Freitag begann für die Delegation sehr eindrücklich. Aufgrund eines Marathons in Bethlehem konnte unser Busfahrer uns nicht in der Stadt abholen, so mussten wir mit unseren Koffern durch die Stadt bis zum Check-Point. Die Check-Points verbinden Israelisches Staatsgebiet, mit den besetzten Palästinensischen Gebieten. Für Palästinenser*innen, die zur täglichen Arbeit von Palästina nach Israel müssen, gehören die Check-Points zum Alltag. Die Strecke, die man per Fuß innerhalb des Checkpoints zurücklegen muss, ist absurd lang. Ungefähr in der Mitte muss man sein Gepäck in einen Scanner legen, wie man ihn vom Flughafen kennt. Wenn man sich vorstellt, dass man diese Kontrollen tagtäglich über sich ergehen lassen muss, kann man die Hilflosigkeit vieler Palästinenser*innen verstehen. Unsere Koffer wurden zwar auch gescannt, aufgrund unseres Deutschen Reisepasses konnten wir die nachfolgende Sicherheitskontrolle jedoch relativ einfach passieren. Einmal mehr konnten wir unsere europäische Privilegierung spüren. Danach ging es für uns in die Israelische Kleinstadt, Holon. Hier unterhielten wir uns erst mit Moran, der uns über die Anfänge seiner Jugendbewegung erzählte und von seiner Arbeit als Council-Member. Aus dem Gespräch konnten wir mitnehmen, dass die Interessen der Jugendlichen, genauso wie hier in Thüringen vor Ort auf kommunaler Ebene nur wenig Gehör finden und es einer hohen Anstrengung bedarf, sich für die Belange junger Menschen einzusetzen. Die Zunahme der Errichtung von Ein-Zimmer-Wohnungen, die insbesondere für junge Menschen erschwinglich und damit attraktiv sind, verbuchte Moran als sein Erfolg. Bar von unserer befreundeten Meretz-Jugend gab uns anschließend eine Stadtführung. Holon wurde ursprünglich als Sozialistische Stadt in einer Wüste geplant und erbaut. Im Fokus der Stadtplanung stand, dass Arbeiter*innen günstigen Wohnraum und zentral gelegene Parks zur Erholung haben. Sie sollten schnell zu Freizeiteinrichtungen und kulturellen Zentren kommen. Es war eindrucksvoll zu sehen, dass eine Stadt nach den Interessen von Beschäftigten errichtet werden kann und nicht nach denen von Kapitaleignern, Unternehmen und Grundbesitzern. Davon kann heute jedoch nicht mehr die Rede sein, weil die Stadt sich inzwischen ebenso kapitalistisch weiterentwickelt wie die Mehrzahl der europäischen Städte dies auch tun. Was geblieben ist sind die Straßennamen: Eine der Hauptstraßen der Stadt ist nach Histadrut, dem israelischen Gewerkschaftsbund, benannt, andere nach wichtigen sozialistisch-zionistischen Denkern oder Aktivist*innen in der sozialistischen und Gewerkschaftsbewegung.
Anschließend fuhren wir nach Tel Aviv und checkten in unser Hostel ein. Danach ging es zu einem kurzweiligen Gespräch mit Mitgliedern von Young Meretz bei einem Bier. Sie konnten uns von ihrer politischen Arbeit sowie ihrem Wehrdienst berichten. Gerade für uns als linke Jugendorganisation war es spannend, wie die Jugendlichen in Israel, die auch in linken Organisationen aktiv sind, gegenüber dem Wehrdienst eingestellt sind. Einige von uns konnten dann an einer Shabat Messe teilnehmen. Es war ein sehr bewegendes und eindrucksvolles Erlebnis, als Deutsche teilnehmen zu dürfen, und sogar explizit willkommen geheißen zu werden. Die Messe unterschied sich sehr von den üblichen christlichen Gottesdiensten, wie wir sie aus Deutschland kennen. Es wurde zwar auch gesungen, aber auch gelacht und getanzt. Die Atmosphäre war fast durchgehend sehr locker und entspannt. Menschen unterhielten sich, beteiligten sich mit Wortmeldungen an der Messe, standen auf und stillten ihre Kinder. Für die Gemeinde schien es selbstverständlich zu sein, mit uns als deutschen Gästen am Ende der Messe Brot und Wein zu teilen. Definitiv war das für mich eines der eindrücklichsten Erlebnisse der Reise. Den Abend ließen wir gemeinsam mit ein paar Bier, Brot, Humus und Oliven am Meer ausklingen.

1. April: Die Stadt am Meer genießen

Am Samstag wurden die verschiedenen Arten der Spaltungen, die es in der Region und der Stadt Tel Aviv selbst gibt, nochmal sehr deutlich.
Eine Stadtteilführung durch ein südliches Viertel von Tel Aviv thematisierte die Themen Gentrifizierung und Immigration vorwiegend westafrikanischer Migrant*innen, aber auch Armut und soziale Spaltung.
Hierbei war es bedrückend zu sehen, wie Armut und Immigration oftmals miteinander einhergehen und in Wechselwirkung zueinander oftmals Konkurrenz statt Solidarität zwischen den Schwächsten einer Gesellschaft erzeugen. Gilt es nicht, gemeinsam für ein besseres Leben für alle zu kämpfen?
Ganz im Kontrast dazu stand der Nachmittag des Tages, an dem wir kein Programm hatten. Die „weiße Stadt“, eine Sammlung von Gebäuden im Bauhaus-Stil in Tel Aviv, beherbergt Cafés, kleine Geschäfte, einen Boulevard, auf dem die verschiedensten Menschen flanieren, Kaffee trinken und sich treffen. Zu sehen, wie unbeschwert hier gelebt wird, nur weniger als eine Stunde Gehzeit dazwischen, verdeutlichte die Spaltung der Lebenswirklichkeiten der Einwohner*innen einer Stadt sehr deutlich.
Auch der Sonnenuntergang am Strand von Jaffa, mit Falafel und Baklava in der Hand, erschien nach allem, was wir in der vergangenen Woche gesehen und erlebt hatten, fast unwirklich. So wunderschön und doch so schwer zu fassen, fast wie die Seite eines Bilderbuches.

2. April: Der Abschied

Nach einer Woche tritt Die Reisegruppe Falafel die Rückfahrt an. Unsere Köpfe aber rauchten von Eindrücken, als hätten wir einen Monat Klausurphase gehabt. Um 10 Uhr morgens brachen wir in Tel Aviv Richtung Flughafen auf. Dort angekommen hofften wir, dass Fortuna uns abermals gnädig ist und wir schnell durch die Kontrolle kommen. Aber es war helllichter Tag und die Beamt*innen waren wach. Hellwach. Oleg als Delegationsleiter wurde rausgezogen und musste sich für die Gruppe erklären, was wir gemacht haben. „Natürlich waren wir nicht in Palästina.“ Ein gefühlt ewiges Hin und Her begann und die Beamtinnen wurden immer misstrauisch. Schließlich wurde auch Carolin rausgezogen, um unabhängig von Olegs Geschichte zu erklären, was wir gemacht haben. Nachdem sie mehrfach versichert hat, dass sie keine radikalisierte Kafka-lesende-öko-feministische Terroristin ist, wurde Carolin entlassen und wir durften passieren. Mit einem kleinen Schönheitsfehler: die Sicherheitseinstufung auf unseren Pässen war eine 5, was ungefähr kurz vor dem Status eines Terroristen ist. Nach noch mehr Sicherheitskontrollen im sichersten Flughafen der Welt (aber vermutlich auch der anstrengendste), haben wir es ins Flugzeug nach Istanbul geschafft. Es gab Humus.
Bei all dem Trouble bei der Ausreise ist wichtig zu erwähnen, dass Sicherheitsmaßnahmen des Staates Israel berechtigt sind. Das Land, welches ringsherum von politischen Feinden umgeben ist und immer wieder auf’s Neue für das eigene Existenzrecht einstehen muss, braucht den sichersten Flughafen der Welt.
Erst auf dem Flug nach Berlin entspannten wir uns, was vielleicht auch mit von freundlichen Turkish-Airlines-Mitarbeiter*innen gereichtem Wein und Bier zu tun hatte. Es gab Humus. Ein Kanon von schallendem Gelächter füllte das Flugzeug der Reisegruppe, welche sich vielleicht doch besser Reisegruppe Humus nennen sollen.
In Berlin angekommen gingen unsere Wege auseinander. Die Jusos Thüringen setzten ihre Odyssee fort in Regionalbahnen, um halb drei Uhr morgens wieder in Erfurt, Jena oder Weimar anzukommen.

Ein großer Dank gilt dem Juso-Bundesbüro und dem WBC in Jerusalem für die Organisation der Reise. Danke, Leo, Judith und Paul!
Du willst die wichtige Arbeit des WBC unterstützen? Dann kannst du WBC-Fördervereinsmitglied werden! Hier der Link: http://willybrandtcenter.org/spenden/
Du hast Fragen? Melde Dich unter jusos.thueringen@spd.de

Oleg Shevchenko, stellv. Landesvorsitzender der Jusos Thüringen

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