Den ersten Teil des Berichts findet ihr HIER
Die Delegation der Jusos Thüringen in den Nahen Osten, bestehend aus Sophia Othmer, Maurice Riesche, Lina-Sophie Horn, Janina Bungarten, Gero Reich, Carolin Lambotte, Lukas Kiehne, Saskia Scheler und Oleg Shevchenko fassten ihre Eindrücke von den 8 gemeinsamen Tagen in diesem Blogbeitrag zusammen:
29. März: Die geteilte Stadt Hebron
Es erscheint uns besonders schwer, unseren verbrachten Tag in Hebron so zu schildern, dass dies der Komplexität, den erfahrenen Narrative und unserer mitgebrachten europäischen Perspektive gerecht wird.
Nach der Fahrt nach Bethlehem und dem dortigen Check- und damit unserem ersten Blick auf die mit Graffiti besprühte Mauer und das Banksy-Hotel besuchten wir morgens die Universität in Hebron. Als europäische Gruppe fielen wir sehr auf, das lebendige Campusleben ist dabei auf den ersten Blick sehr ähnlich; der Frauenanteil der Universität liegt bei 70-80% und uns winkten sehr bewusste, modische Frauen zu, die ihr Kopftuch passend zur Kleidung gewählt hatten. Die Studenten, mit denen wir dann sprechen, sind alle männlich – wir erfuhren von geschlossenen Universitätstagen auf Grund des Konfliktes, von Kontrollen auf dem Weg zur Universität, aber auch von der neu geplanten medizinischen Fakultät und dem US AID gesponserten Radiosender. Wir trafen u.a. auf den Leiter der politikwissenschaftlichen Abteilung, der in München studiert hat und fließend Deutsch spricht. Aber auch mit der Dekanin einer Fakultät, die gleichzeitig Mitglied des Stadtrats ist, kamen wir kurz ins Gespräch. Dabei machte die Universität einen sehr guten Eindruck: Palästina schien ein sehr gutes Bildungssystem zu haben: Die Bildung kann aber wohl auf Grund der wirtschaftlichen Lage nur selten genutzt werden. Für Frauen* ist es zudem noch schwieriger, einen Arbeitsplatz zu finden. Auch die Aufstiegschancen sind dramatisch gering.
Als nächstes fuhren wir, mit einem positiven Eindruck der Universität, in die Innenstadt Hebrons, in deren Mitte sich eine israelische Siedlung befindet. Auch wenn wir den Siedlungsbau kritisch ablehnend verstehen, ist er in seinen Formen zu unterscheiden: Ein Teil der Israelis weicht beispielweise auf die Wohnungen in Siedlungen aus, um den teuren Lebensunterhaltungskosten in Israel zumindest teilweise zu entgehen. Die Siedlung, die wir in Hebron zu sehen bekamen, ist allerdings als radikal einzuordnen und wird aufgrund der religiösen Bedeutung des Ortes, in dem die Grabeskirche Abrahams ist, besonders von orthodoxen Israelis bewohnt; dementsprechend heftig fallen unsere Eindrücke dazu aus. Geographisch befindet die Siedlung sich im Herzen des damaligen Marktviertels und damit einem Zentrum der Stadt. Straßen, die vorher Treffpunkte waren, sind für Palästinenser*innen nicht mehr zugänglich und durch Kontrollpunkte und Stacheldraht dominiert; während das Viertel vorher wohl sehr lebendig war, erscheinen die mit israelischen Flaggen verzierten Straßen unwirklich ruhig und leer, auch wenn die dort lebenden 700 Siedler*innen von ca. 1500 Soldat*innen geschützt werden. Dieser Tag ermöglichte uns auch einen Einblick in die sprachliche Komponente des Konflikts: Arabische Straßennamen in und angrenzend zu der Siedlung sollen wohl zu jüdischen werden; auch unser Guide, ein Englisch-Major der Universität, meinte seinen politischen Aktionismus durch historische Vergleiche verstärken zu müssen, mit denen wir uns als Gruppe sehr schwer getan haben und die wir nicht nachvollziehen konnten: Apartheit für die Lebenssituation vieler Palästinenser*innen oder Holocaust-Vergleiche für die Nummern in palästinensischen Pässen.
Nach der Führung hat uns Nimala von der Schabibet Fatah sowie dem politischen Team des WBC mit einer kleinen Bustour das Umland von der Stadt Bait Dschala gezeigt. Wir haben viele Siedlungen rund um die palästinensische Stadt gesehen. Als wir auf einem Hügel standen und ein Teil der Sperranlagen sahen, sagte Nimala: „Wenn sich die Menschen nicht begegnen, dann sehen die Palästinenser*innen in den Israelis nur Soldat*innen, und die Israelis in den Palästinenser*innen nur Terrorist*innen. Soldat*innen und Terrorist*innen aber werden nicht miteinander sprechen. Sie werden sich bekämpfen”. Es war ein sehr bewegender Satz, der verdeutlichte, wie wichtig es ist, bei internationalen Konflikten miteinander ins Gespräch zu kommen.
Die erfahrene Lebensrealität, die alltäglichen Einschränkungen und die Unsicherheit von Kontrollpunkten und deren Normalität wirkt dabei sehr kontrastreich zu den vorher in Israel verbrachten Tagen, wie zum Beispiel unser Besuch in Yad Vashem oder auch einfach spannender Marktbesuche. Diese Kontraste und das Nachvollziehen sich widersprechender Narrative, aber auch die Schönheit der Landschaft und Vielseitigkeit der Region machten unseren Aufenthalt insgesamt so spannend.
30. März: Das Wasserproblem
Nach den letzten Tagen, die wir uns in Städten aufgehalten haben, ging es am Donnerstag in die ländliche Region am östlichen Rand der Westbank. Die Anfahrt an unseren heutigen Stationen war etwas länger, so konnten wir die beeindruckende Hügellandschaft im Jordanbecken bestaunen.
Mitten durch diese karge wüstenähnliche Landschaft fließt ein schmales, braunes Rinnsal. Ja, viel ist nicht übrig vom Jordan, dem Fluss, der für Jüdinnen und Juden sowie auch Christ*innen eine religiöse Bedeutung hat. Davon konnten wir uns an der Taufstelle selbst überzeugen, als sich dort Gruppen von Pilger*innen im stark verschmutzten Wasser taufen ließen und sangen. Unweit von uns, in der Mitte des Flusses verläuft die Grenze zu Jordanien.
Unser eigentliches Ziel war allerdings das „Auja ecocenter“, eine Einrichtung der „Ecopeace middle east“ einer NGO, in der Menschen aus Israel, Palästina und Jordanien zusammenarbeiten und die die Menschen dieser drei Staaten zum Zusammenarbeiten bringen will. Dort berichtete uns Thomas König, ein Mitarbeiter der NGO, vom Wasser als Thema in der Region und seinem Einfluss auf den Konflikt. Er konnte uns zum Beispiel erläutern, dass der niedrige Wasserstand des Jordan mit der hohen Entnahme von Wasser aus dem See Genezareth zusammenhängt, mit dem große Teile Israels mit Wasser für Haushalte und Industrie versorgt wurden. Im Anschluss an den sehr aufschlussreichen Vortrag zeigte er uns einige der Stationen, an denen Workshops für Schüler*innen zur Wassergewinnung und Einsparung von Wasser gehalten werden. Zum Abschluss fuhren wir ans Tote Meer, dessen Wasserspiegel seit Jahren sinkt und an dessen ehemaligen Ufer ein verlassenes Seebad stand. Hier wird deutlich, dass sich der Nahost-Konflikt und die Unfähigkeit verschiedener Parteien, miteinander in den Dialog zu treten, sich weit über religiöse Fragen hinaus erstreckt und auch umweltpolitisches Handeln enorm erschwert. Mit diesen trockenen Eindrücken beendeten wir den Tag.
…Fortsetzung folgt!
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Seid gespannt auf den dritten Teil des Berichts! Dort erfährt ihr unsere Eindrücke in Tel-Aviv. Falls ihr Fragen habt, könnt ihr uns gerne unter jusosthueringen@spd.de schreiben. Informationen zum Willy-Brandt-Center findet ihr hier: http://willybrandtcenter.org
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