Beschluss des außerordentlichen Landesparteitages der SPD Thüringen Weimar, 11. März 2018
auf Initiative der Jusos Thüringen und der AfA Thüringen
Die SPD hat in den vergangenen Wochen intensiv darüber diskutiert, wie es weiter gehen soll. Bei allen Unterschieden waren wir uns darin einig, dass es ein „Weiter so“ nicht geben darf. Die SPD muss sich neu aufstellen – inhaltlich, strukturell und personell. Mit der Debatte um die Neuauflage der großen Koalition im Bund haben wir damit auch eines gezeigt: Wir sind eine lebendige Partei, wir leben vom fairen und demokratischen Ringen miteinander um die richtigen Antworten.
Der Koalitionsvertrag liefert auf viele Fragen, die die Menschen im Osten bewegen, keine Antworten. Die Ungleichheit zwischen Ost- und Westdeutschland darf durch die anstehenden Entscheidungen im Bund nicht weiter manifestiert werden. Vielmehr müssen mit Blick auf die Situation in den ostdeutschen Bundesländern Benachteiligungen konsequent ausgeglichen werden. Nur mit einer starken SPD kann es einen starken Osten geben.
Gleichzeitig sieht sich die SPD mitten in einem Erneuerungsprozess. Der ist nicht nur notwendig, sondern längst überfällig. Als Landesverband werden wir uns auf allen Ebenen für die Erneuerung einsetzen und dabei auch neue Wege gehen. Genauso wie die große Koalition darf auch der Prozess der Erneuerung nicht ohne den Osten passieren. Die Erfahrungen der ostdeutschen Biographien müssen dabei in den Erneuerungsprozess mit einfließen.
Den Osten fest im Blick
Wir fordern die SPD dazu auf sich im Bund dafür einzusetzen, die Lebens- und Arbeitsverhältnisse zwischen Ost und West weiter anzugleichen. Wir müssen den Kampf gegen Armut konsequent führen. Für alle Generationen und auf allen politischen Ebenen – im Bund, im Land, in den Kommunen und auch in der Europäischen Union.
Wir wollen, dass jedes Kind die gleichen Möglichkeiten zur Teilhabe hat, unabhängig davon wo es geboren wurde oder wo es aufwächst. Momentan ist das nicht möglich. Jedes 5. Kind in Deutschland wächst von Armut gefährdet auf. In Ostdeutschland ist sogar jedes 4. Kind betroffen. Kinder müssen als eigenständige Persönlichkeiten anerkannt werden. Dazu gehört auch, dass sie finanziell entsprechend abgesichert sind.
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Daher werden wir:
- schnellstmöglich die Anrechnung des Kindergeldes beim ALG II abschaffen;
- perspektivisch das Kindergeld zu einer eigenständigen Kindergrundsicherung ausbauen, die nicht gegen andere Sozialleistungen angerechnet, sondern jedemKind individuell gewährt wird.Wir sorgen in der Landes- und Kommunalpolitik für die Bekämpfung von Familien- und Kinderarmut sowie gesellschaftliche Teilhabe im umfassenden Sinne. Dies wird ein zentraler Bestandteil der vor uns stehenden Wahlkämpfe.
Wir brauchen eine Antwort auf drohende Altersarmut. Es darf nicht sein, dass Menschen für niedrige Löhne während ihres Arbeitslebens im Alter erneut bestraft werden. Wir wollen, dass die Lebensleistung von Menschen anerkannt wird – auch im
Osten. Altersarmut ist kein individuelles Schicksal, sondern ein strukturelles Problem.
- Wir brauchen eine grundlegende Reform der gesetzlichen Rente, die die Lebensrealität und die besonderen Erwerbsbiografien der Menschen in Ostdeutschland berücksichtigt.
- Darüber hinaus darf die Grundsicherung im Alter nicht in Abhängigkeit einer Bedarfsprüfung gewährt werden. Dieser Anspruch muss grundlegend allen gewährt werden – ohne Gang auf das Sozialamt.Der Zugang zu guter Arbeit ist eine der wesentlichen sozialen Fragen unserer Zeit. Jedem Menschen muss der Zugang zu guter Arbeit ermöglicht werden. Gleichzeitig müssen wir unsere Arbeitsmarktpolitik über Grenzen der Nationalstaaten hinweg denken und den Arbeitnehmer*innen bei den rasanten Veränderungen der Arbeitswelt Antworten und Sicherheit für ihre Zukunft bieten.Wir werden:
- die Rahmenbedingungen für eine Ausweitung der Tarifbindung spürbar verbessern und treten für einen konsequenten Ausbau der betrieblichen Mitbestimmung ein. Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften sind für uns in diesem Kampf natürliche Partner*innen.
- Wir werden prekäre Beschäftigungsverhältnisse regulieren und eindämmen;
- heutige gesetzliche arbeitszeitliche Standards sichern und wo nötig verbessern;
- die Umsetzung und Einhaltung von Maßnahmen zum Arbeits- undGesundheitsschutz stärker kontrollieren;
- den gesetzlichen Mindestlohn auf ein Niveau anheben, das vor Altersarmutschützt;
- die Instrumente zur Integration in den Arbeitsmarkt reformieren, umindividuellere Maßnahmen zu ermöglichen;
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den Aufbau eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors weiter vorantreiben, damit mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungs- verhältnisse entstehen.
Die Folgen des demografischen Wandels sind heute schon spürbar, in einigen Regionen des Ostens wesentlich deutlicher als in Westdeutschland. Die SPD muss Antworten auf die Fragen finden, wie ein würdevolles Leben im Alter möglich ist. Wir setzen uns für die Verbesserung der öffentlich verantworteten sozialen Infrastruktur und die Qualität der Pflege ein, insbesondere durch:
- die Stärkung sozialer Kommunalpolitik, um eine generationsgerechte und dauerhafte Familien unterstützende Infrastruktur zur Verfügung zu stellen;
- die Einführung eines verbindlichen Personalschlüssels;
- die Verbesserung der Arbeits- und Entlohnungsbedingungen von Pflegekräften;
- eine zeitnahe wesentliche Verbesserung der Leistungen der Pflegeversicherung.Wir können als Sozialdemokratie nur dann erfolgreich sein, wenn wir glaubwürdige Politik aus einem Guss machen – nicht nur auf dem Papier, sondern in der Tat. Dafür braucht es einen engen Austausch zwischen Kommunen, Land und Bund. Das muss sich in den Leitlinien für die Kommunalwahl 2019 und im nächsten Landtagswahlprogramm niederschlagen.Für eine starke SPD in Ost und West
Erneuerung beginnt vor Ort. Dieser Grundsatz muss auch für den aktuellen Prozess gelten. Wir sind alle gefragt, wenn wir wollen, dass die SPD ihre alte Stärke zurück gewinnt. Diesen Prozess können wir nur gemeinsam gestalten. Wir brauchen eine aktive Basis, die sich einbringt und bereit ist, andere Wege zu gehen. Außerdem brauchen wir Funktionär*innen, die sich darauf einlassen.
Die SPD muss wieder für eine glaubhafte Programmatik stehen. Es muss klar sein, welche Positionen wir haben, welche Gesellschaft wir anstreben, für wen wir eintreten und wie wir das erreichen wollen. Dabei müssen wir die Sorgen und Ängste, aber auch Hoffnungen und Wünsche der Menschen kennen und ernst nehmen sowie einen gesellschaftlichen Dialog organisieren. Dafür brauchen wir ein neues Grundsatzprogramm.
Unsere Erneuerung darf nicht nur bessere Wahlergebnisse im Blick haben. Wir müssen durch eigenes Vorbild wieder zeigen, dass politisches Engagement sich nicht auf kurzfristiges Regierungshandeln beschränkt. Als Partei wollen wir uns als Plattform verstehen, in der darüber konstruktiv und leidenschaftlich gestritten wird, wie die Gesellschaft sein soll. Wir müssen wieder lernen, die Spannung zwischen langfristigen Zielvorstellungen und pragmatischem Regierungshandeln auszuhalten und dies als Stärke begreifen. Wir wollen als SPD gesellschaftliche Bündnisse schließen, allen voran mit den Gewerkschaften und uns in gemeinsamer Tradition nahestehenden Verbänden.
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Die SPD kann nur stark sein, wenn sie den Osten nicht verliert. Die Ergebnisse der letzten Landtagswahlen in den ostdeutschen Ländern und auch die Mitgliederentwicklung in den ostdeutschen Landesverbänden zeigen, dass es nach wie vor große Unterschiede zwischen Ost und West, auch in den Parteistrukturen gibt. Dies auszugleichen, können die Landesverbände allein nicht schaffen. Hierbei braucht es die Solidarität und Unterstützung der Gesamtpartei.
Die Arbeits- und Kampagnenfähigkeit der SPD im Osten muss erhöht werden. Dafür braucht es Unterstützung bei der angemessenen Personalausstattung der Landesverbände, insbesondere zur Stärkung der inhaltlichen und der Öffentlichkeitsarbeit sowie die Einrichtung eines besonderen Innovationsfonds, bei dem Gliederungen aus dem Osten finanzielle Unterstützung für ihre Arbeit beantragen können. Außerdem muss die Partei in ihrer Professionalisierung unterstützt werden. Durch die Parteischule müssen Angebote insbesondere zur Organisations- und Personalentwicklung, zur Geschichte der Arbeiter*innenbewegung, zu den Grundwerten der SPD und zu modernen Öffentlichkeits- und Kommunikationsstrategien verstärkt den ostdeutschen Landesverbänden zur Verfügung gestellt werden.
Der Kampf um den Osten lohnt sich!
Die Menschen in Ostdeutschland erleben in ihrem Alltag noch immer viele Benachteiligungen – ob es geringere Löhne und Renten sind, die mangelnde Repräsentation auf Bundesebene und eigenen Landesbehörden oder die wirtschaftlich schlechteren Ausgangsbedingen nach der Zerschlagung vieler ostdeutscher Betriebe. Daraus speist sich Unzufriedenheit, die sich teilweise auch in der Ablehnung derjenigen Parteien und Politiker*innen widerspiegeln, die in den letzten 28 Jahren die Benachteiligungen nicht beseitigt haben.
Viele von uns ostdeutschen Genossinnen und Genossen erleben an Wahlkampfständen immer wieder, dass sich Ostdeutsche in ihren Interessen und Forderungen von der Bundespolitik nicht mitgenommen fühlen.
Daran muss sich einiges ändern! Die SPD muss die Erfahrungen, Kompetenzen und spezifischen Sichtweisen ihrer ostdeutschen Genossinnen und Genossen in ihrer Arbeit vor dem Hintergrund ihrer eigenen Wurzeln stärker berücksichtigen.
Die SPD hat gerade im Osten die Chance, bislang unerreichte Menschen für sich zu gewinnen. Das sollten wir nutzen!
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