#2 Rezension für Dich und Mich: “Der Zopf” von Laetitia Colombani

von Hannah Brandt, stellv. Juso-Landesvorsitzende

Normalerweise lese ich nicht viele Bücher. Das liegt vor allem daran, dass ich mir selten Zeit dafür nehme oder oft kein Buch finde, dass mich wirklich in seinen Bann zieht. Bei diesem Buch war es anders. Schon der Klappentext von “Der Zopf” hatte mich neugierig werden lassen. Dort heißt es “Drei Frauen, drei Leben, drei Kontinente” und versprach sogleich drei nebeneinander laufende Geschichten zu erzählen.

Und so war es auch – das Buch erzählt Kapitel für Kapitel die Schicksale der drei Frauen. Da wäre einmal Smita, eine Unberührbare aus Indien. Die Unberührbaren stellen die unterste Bevölkerungsgruppe in Indien dar und berechtigen die Männer und Frauen* zu keinerlei Rechten. Sie sind die Kloputzer und die Rattenfänger des Systems, die keinerlei Recht auf Bildung und Selbstbestimmung haben. Smitas Kampf um eine gerechte Schulbildung ihrer kleinen Tochter fordert von ihr das Unmögliche.

Daneben wünscht sich die erfolgreiche Anwältin Sarah endlich zur Partnerin ihrer Kanzlei in Montreal aufzusteigen. Sie ist jung, erfolgreich, geschieden und meistert ihren Alltag mit drei Kindern. Das gelingt ihr trotz vieler Opfer recht gut, bis sie ein harter Schicksalsschlag trifft.

Zu guter letzt gibt es noch Giulia aus Sizilien, die sich um das Familienunternehmen – eine Perückenmanufaktur – kümmert. Plötzlich fällt ihr Vater ins Koma und Giulia muss sowohl das Unternehmen,  als auch ihre Familie retten.

 

Das Buch hat mich innerlich so berührt, weil die Geschichten auf den ersten Blick so wirken als hätten sie nichts miteinander gemein, bis sich die Fäden langsam aber sicher zu einem schönen Netz zusammen spinnen. Das ist spannend, weil dem Lesenden die Parallelen auf den ersten Blick nicht auffallen. Darüber hinaus spielt der Kampf für mehr Partizipation, einen unabhängigen und fairen Zugang zu Bildung – insbesondere für Frauen – und ein Aufzeigen kulturell bedingter, sehr unterschiedlicher Leben eine entscheidende Rolle. Dem Lesenden wird hier sehr anschaulich das noch immer vorherrschende Nord-Süd-Gefälle zwischen Industriestaaten und Entwicklungs- und Schwellenländern vor Augen geführt. Insbesondere durch die zunehmende Globalisierung und die kapitalistische Wirtschaftsweise werden die (wirtschaftlich) schwächeren Staaten immer mehr abgehängt und von den Industriestaaten zunehmend ausgebeutet. Wer das Buch bis zum Ende liest, wird merken, wie die einzelnen Geschichten diesen Missstand treffend auf den Punkt bringen. 

 

Dabei merkt man beim Lesen erst wie unterschiedlich die Herausforderungen und Widrigkeiten für die Frauen sind. Sarah aus Kanada kämpft beispielsweise um Anerkennung im Beruf, um die Vereinbarkeit zwischen Familie und Karriere und eben auch damit nirgends genug Zeit verbringen zu können. Aus einer westlichen Sicht sind das sehr nachvollziehbare Probleme, die viele Frauen* einbeziehen, wenn sie sich für oder gegen eine Familienplanung entscheiden. Dagegen kämpft Smita aus Indien mit anderen Problemen. Ihre Familie verdient so wenig Geld, dass sie sich oft kein Essen kaufen können und von den Abfällen wohlhabender Menschen leben. Sie beschäftigt darüber hinaus der Zugang zur Schule für ihre Tochter, nicht die Zeiteinteilung, wann sie für ihre Tochter da sein kann. Hier beginnen die Probleme und die Einschränkungen an einem ganz anderen Punkt. Giulia aus Sizilien ist kinderlos und wünscht sich eigentlich keine Kinder. Sie liebt ihre Familie und lebt viel in den Tag hinein. Ihr Leben scheint auf den ersten Blick wenig mit dem der anderen beiden Frauen gemein zu haben. Doch sie hat mit dem Sterben eines Angehörigen zu kämpfen und mit der Erhaltung des Familienunternehmens. Giulia schafft es sich selbstständig zu machen und Verantwortung für sich und ihre Nächsten zu übernehmen. Sie wird zur Innovationstreiberin, zur Macherin und zur Unternehmerin und verkörpert eine neue Generation in ihrem traditionellen Dorf. Eine Rolle, die auch heute viele Frauen* einnehmen und einnehmen wollen. Dabei verändert sie lokal und verbessert das Leben vieler Menschen in ihrer Heimat. Dieses Buch ist ein Aufruf zu mehr Mut, Entschlossenheit und Tatendrang. Es bekräftigt die Lesenden etwas auf der Welt bewegen zu wollen und das ist meiner Meinung nach  eine grandiose Leistung dieses Buches.

Wer sich also ein Buch wünscht, das mitfiebern  und hoffen lässt, dass die Protagonist*innen ihre Herausforderungen meistern und durch das  man tief in andere und seine eigene Kultur eintauchen kann, für den und die ist “Der Zopf” von Laetitia Colombani genau das Richtige.

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