von Janek Löbel und Markus Giebe (beide SPD-Stadträte in Jena) sowie von Denny Möller und Kevin Groß (beide SPD-Stadträte in Erfurt)
Der offene Brief des Erfurter Oberbürgermeisters Andreas Bausewein und die darin enthaltenen Forderungen zur Flüchtlingspolitik haben uns dazu bewogen, als junge sozialdemokratische Kommunalpolitiker Stellung zu beziehen.
Die Zahl der Flüchtlinge ist in den letzten Monaten gestiegen und wird weiterhin steigen. Die Aufgabe der menschenwürdigen Unterbringung und der qualitativen Betreuung von Flüchtlingen stellt insbesondere die Kommunalpolitik vor große Herausforderungen.
Zur Sicherung einer qualitativen Betreuung ist es daher unerlässlich die finanziellen Lasten zwischen Kommunen, Land und Bund neu zu verteilen und dies schnell und verbindlich.
Andreas Bausewein hat Recht: Die Anhebung der Unterkunftspauschale würde die dezentrale Unterbringung und neue innovative Konzepte neben den üblichen Gemeinschaftsunterkünften erleichtern. Die derzeitige Betreuungsrelation zwischen Sozialarbeiterinnen bzw. Sozialarbeitern und Flüchtlingen ist inakzeptabel – eine Erhöhung der Betreuungspauschale auf mindestens 45 Euro pro Flüchtling im Monat ist längst überfällig. Für eine bessere Betreuungsqualität, die den Schutzsuchenden eine erste Orientierung ermöglicht und damit auch Konflikte vermieden werden können, sind diese Forderungen dringend von der Landes- und Bundesregierung umzusetzen.
Anders als Andreas Bauseweins Brief vermuten lässt, verstehen wir Flüchtlinge, deren Unterbringung und all diesen offenen Fragen zum Trotz, jedoch nicht als Belastung, sondern als Bereicherung und Chance für unsere Gesellschaft. Mit der Unterbringung, medizinischen Versorgung und sozialen Betreuung verbundenen Aufgaben, sind gesamtgesellschaftliche Herausforderung der Solidarität und Mitmenschlichkeit in einem der reichsten Länder dieser Erde. Wer ständig eine Krise herbeiredet, wird damit auch eine Krisenstimmung bei den Bürgerinnen und Bürgern erzeugen.
Die sich immer wiederholende Forderung nach der Ausweisung neuer sicherer Herkunftsländer erteilen wir eine klare Absage. Aus unserer Sicht dient dies nicht zur Meisterung der Herausforderungen in den Städten und Gemeinden, vielmehr trägt sie eine zutiefst populistische Komponente. Das Asylrecht ist ein individuelles Recht jedes Menschen und darf nicht durch Staatsangehörigkeit pauschal in Frage gestellt werden. Eine Zweiklassengesellschaft für geflüchtete Menschen lehnen wir ab.
Der Vorschlag, geflüchtete Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsländern nicht mehr auf die kommunalen Aufnahmestellen zu verteilen, ist zu kurz gedacht, würde dies doch zu einer einseitigen Belastung der Erstaufnahmestellen führen.
Entschieden lehnen wir schließlich den Vorschlag zur Aussetzung der Schulpflicht ab:
Kinder und Jugendliche, die dauerhaft oder vorrübergehend in Deutschland leben, haben das Recht, sogar die Pflicht in die Schule zu gehen. So heißt es im Thüringer Schulgesetz:
§ 1 Recht auf schulische Bildung
(1) Jeder junge Mensch hat ein Recht auf schulische Bildung und Förderung. Das Recht wird nach Maßgabe dieses Gesetzes gewährleistet.
(2) Für den Zugang zu den Schularten und den Bildungsgängen dürfen weder die Herkunft und das Geschlecht des Schülers, die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung seiner Eltern noch die Weltanschauung oder die Religion bestimmend sein.
§17 Allgemeines zur Schulpflicht
(1) Wer in Thüringen seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat oder in einem Ausbildungsverhältnis oder einem Arbeitsverhältnis steht, unterliegt der Schulpflicht (Schulpflichtiger). Schulpflichtig im Sinne des Satzes 1 ist auch, wem aufgrund eines Asylantrags der Aufenthalt in Thüringen gestattet ist oder wer hier geduldet wird, unabhängig davon, ob er selbst diese Voraussetzungen erfüllt oder nur ein Elternteil; die Schulpflicht beginnt drei Monate nach dem Zuzug aus dem Ausland. Völkerrechtliche Abkommen und zwischenstaatliche Vereinbarungen bleiben unberührt.
Der zentrale Stellenwert von Bildung für das Aufwachsen von Kindern bildet in Deutschland seit der Übereinkunft im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-Sozialpakt) von 1966 einen gesellschaftlichen Konsens. Da dieses Recht für Kinder von besonderer Bedeutung ist, wird es im Artikel 28 der UN-Kinderrechtskonvention konkretisiert:
„(1) Die Vertragsstaaten erkennen das Recht des Kindes auf Bildung an; um die Verwirklichung dieses Rechts auf der Grundlage der Chancengleichheit fortschreitend zu erreichen, werden sie insbesondere
- den Besuch der Grundschule für alle zur Pflicht und unentgeltlich machen;
- die Entwicklung verschiedener Formen der weiterführenden Schulen allgemeinbildender und berufsbildender Art fördern, sie allen Kindern verfügbar und zugänglich machen und geeignete Maßnahmen wie die Einführung der Unentgeltlichkeit und die Bereitstellung finanzieller Unterstützung bei Bedürftigkeit treffen
- allen entsprechend ihren Fähigkeiten den Zugang zu den Hochschulen mit allen geeigneten Mitteln ermöglichen;
- Bildungs- und Berufsberatung allen Kindern verfügbar und zugänglich machen;
- Maßnahmen treffen, die den regelmäßigen Schulbesuch fördern und den Anteil derjenigen, welche die Schule vorzeitig verlassen, verringern.
(2) Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Disziplin in der Schule in einer Weise gewahrt wird, die der Menschenwürde des Kindes entspricht und im Einklang mit diesem Übereinkommen steht.
(3) Die Vertragsstaaten fördern die internationale Zusammenarbeit im Bildungswesen, insbesondere um zur Beseitigung von Unwissenheit und Analphabetentum in der Welt beizutragen und den Zugang zu wissenschaftlichen und technischen Kenntnissen und modernen Unterrichtsmethoden zu erleichtern. Dabei sind die Bedürfnisse der Entwicklungsländer besonders zu berücksichtigen“.
Beispielsweise hat sich die Stadt Erfurt mit ihrem Bildungsleitbild zum Verständnis von Bildung als Menschenrecht bekannt. Dort heißt es:
„Alle Menschen in Erfurt können ihr Recht auf Bildung wahrnehmen, unabhängig von Geschlecht, Alter, sozialer und/oder geographischer Herkunft oder vom bislang erworbenen Bildungsstand“.
Von diesem Bekenntnis werden wir nicht abweichen. Kinder, die in unserer Gesellschaft leben, ob als Gäste oder dauerhaft, haben ein Recht auf Bildung, Erziehung und Betreuung, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer Lebenssituation. und ihrem späteren ökonomischen Nutzen für die hiesige Gesellschaft. Bildung ist nach geltendem Recht weit mehr als nur „ein entscheidender Faktor für die Zukunftsfähigkeit einer Kommune und Basis für die aktive Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger am gesellschaftlichen Leben“[1]. Es ist ein Menschenrecht.
Unsere Erfahrungen in der Flüchtlingsarbeit zeigen zudem, dass gerade die Teilnahme der Kinder und Jugendlichen am Schulunterricht eine positive Wirkung auf die gesamte Situation von geflüchteten Familien hat.
Mag sein, dass von diesen Kinder nicht alle längerfristig hier bleiben können. Doch das Thema Verfahrensdauer für Asylanträge und das Thema Recht auf Bildung sind zwei unterschiedliche paar Schuhe. Das heißt, Sozial- und Bildungsleistungen an die Prognose der Bleibeperspektive auf Grundlage der Herkunft zu koppeln ist schlicht unzulässig. Die Diskriminierung von Kindern aufgrund ihrer Herkunft und/oder ihrer ungewissen Lebensperspektive, welche die Familien zweifellos ohnehin belastet, ist nicht hinnehmbar.
Statt einer Einschränkung der Schulpflicht müssen Maßnahmen ergriffen werden, die ausreichendes Lehrpersonal und die räumliche Ausstattung an Schulen sicherstellt.
Auch hier darf die kommunale Ebene nicht allein gelassen werden. Es ist für uns völlig unverständlich, dass eine Rekordeinnahme nach der Anderen im Bund erzielt wird – bereits jetzt wird ein Jahresüberschuss von 5 Milliarden Euro im Bundeshaushalt 2015 erwartet und gleichzeitig ist vor Ort nicht auseichend Geld für die Erweiterung der sozialen Infrastruktur vorhanden.
Wir sehen tagtäglich: unsere Kommunalverwaltungen arbeiten hart am Limit, damit den ankommenden Menschen eine würdevolle Unterbringung ermöglicht werden kann. Oftmals muss von einem Moment auf den Anderen neu entschieden werden und zusätzliches Geld in die Hand genommen werden um die Vorrausetzungen dafür zu schaffen. Darin verbergen sich auch Unsicherheiten für die Kommunen und deren Verantwortungsträger. Diese dürfen aber nicht auf die Betroffenen verlagert werden.
Hier müssen wir als politisch Verantwortliche die richtigen Töne treffen. Einen offenen Brief, der im Duktus „Das Boot ist voll“ geschrieben ist kann dies nicht sein.
Vielmehr braucht es Aufklärung vor Ort in den Nachbarschaften durch klare sachliche Darstellung des Tuns der Verwaltung und der Politik. Dabei gilt es den vielen engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Verwaltungen, den Vereinen und Verbänden unseren Respekt, unsere Anerkennung und unser Dank immer wieder deutlich zu machen. Ein solch besonnenes Handeln schafft Vertrauen bei Bürgerinnen und Bürgern und die Basis dafür, keinen Zweifel daran zu lassen, dass Flüchtlinge bei uns willkommen sind.
[1] Andreas Bausewein im Vorwort des Bildungsleitbilds der Landeshauptstadt Erfurt, 2012
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