Zur Situation:
Seit dem 24.01.2014 sitzt der 23-jährige Student und Falke Josef S. in Untersuchungshaft. Ihm wird vorgeworfen, bei den Protesten gegen den Wiener Akademikerball, bei dem Jahr für Jahr die rechtspopulistische FPÖ Burschenschaftler zum Tanz und zur Vernetzung bittet, eine Art Rädelsführer gewesen zu sein. Die Anklageschrift liest sich martialisch, von schwerem Landfriedensbruch über Sachbeschädigung bis schwerer Körperverletzung gegenüber BeamtInnen der österreichischen Polizei ist fast alles dabei. Von Anfang an gab es sowohl in der deutschen, als auch in der österreichischen Öffentlichkeit die Vermutung, dass hier ein Einzelner in Haftung dafür genommen werden soll, was an diesem Abend passiert ist. Von Anfang an war für die Linke Szene klar, dass mit diesem Prozess konsequenter Antifaschismus und zivilgesellschaftlicher Ungehorsam kriminalisiert werden soll. Schnell gründeten sich Soli-Gruppen, um den Prozess zu finanzieren und Josefs Familie zumindest eine Sorge zu nehmen. Auch die Jusos beteiligten sich zusammen mit vielen anderen politischen Gruppen wie der Roten Hilfe und natürlich den Falken an Soli-Aktionen. So sammelten die Thüringer Jusos beispielsweise Geld auf der Landeskonferenz, machten ein Gruppenfoto und fassten einen Beschluss mit der klaren Forderung „Free Josef“. Auch die Erfurter Jusos sammelten Geld und übergaben es den Thüringer Falken.
Gleich am ersten Prozesstag konnte eigentlich niemand mehr glauben, dass es sich nicht um einen politischen Prozess handelt, bei dem es einzig und allein darum zu gehen scheint, Engagement gegen Rechts zum Verbrechen zu erklären und einen Sündenbock zu verurteilen. Auch in der öffentlichen Berichterstattung waren erste Zeilen zu lesen, die diese Vermutung bestätigten. So konnte man sogar im österreichischen Leitmedium „Der Standart“, im „Spiegel“, in der Vice, in der „Süddeutschen“ und vielen anderen Medien lesen, dass dieser Prozess zur politischen Farce verkommt, schon bevor er richtig begonnen hat. „Der Standart“ widmet dem Prozess seitdem eine Reihe von inhaltlichen Beiträgen und begleitet den Prozess kritisch und durchaus fundiert.

Spontane Fotokampagne der Delegation. Hier im Bild eine Genossin der sozialistischen Jugend Österreichs (SJÖ)
Die „sozialstische Jugend – die Falken“ haben sich entschlossen den Prozess nicht nur mit Soli-Aktionen zu unterstützen, sondern auch eine Delegation nach Wien zu schicken um den zweiten und dritten Prozesstag zu begleiten und Kontakte mit GenossInnen der „Sozialistischen Jugend Österreichs“ – eine mit den Falken zu vergleichende und der Sozialdemokratie zu Recht kritisch, aber freundschaftlich nahestehenden Jugendorganisation – zu knüpfen.
Da ich sowohl Mitglied der Falken, als auch der Jungsozialisten in der SPD bin und mich von Anfang an mit der Sache beschäftigte, rief mich der Jugendreferent der Falken Thüringen an und fragte mich, ob ich Zeit und Lust hätte gemeinsam mit den Falken, Johanna Ueckermann (Juso-BuVo) und Hennig Hohmann (sächsischer Landtagsabgeordneter) nach Wien zu fahren. Nach einem kurzen Blick in den Kalender, bei dem ich eigentlich schon alle wichtigen Termine im Kopf abgesagt bzw. verschoben hatte, sagte ich natürlich zu. Denn eine Fahrt ins „rote Wien“ um einen Genossen zu unterstützen und auch SozialistInnen außerhalb der BRD kennenzulernen ist trotz des furchtbaren Anlasses jetzt nicht die uninteressanteste Pflichtveranstaltung.
Anfahrt und Ankunft
Komisch, es ist Samstag und irgendwie scheint in Erfurt eine Büchse mit betrunkenen Teenagern, die bei einem Holi-Festival waren, explodiert zu sein und ich stehe am Hauptbahnhof, vollgepackt mit Rucksack, Macbook und Kamerautensilien (und natürlich dem verdienten Feierabendbier) wartend auf die anderen. Aus Erfurt fahren 3 Falken und ein Genosse der Filmpiraten nach Wien. Kurz quatschen wir am Bahnhof, kaufen noch schnell ein und dann geht’s auch schon los. Um 9 startet unsere Reise, erst im Regionalexpress in die linke Studierendenhochburg Göttingen und dann von dort aus im Schlafwagen nach Wien. Naja Schlafwagen kann man das jetzt nicht nennen, aber erträglich ist die 8-stündige Fahrt nach Wien dennoch. Wir lachen, quatschen, dösen vor uns hin und kommen völlig erschöpft gegen Sonntagmorgen um 9 in Wien an.
Von da ging es kurz ins Hostel, die Sachen unterstellen und völlig übermüdet in Richtung Innenstadt, um uns einen ersten Eindruck von Wien zu verschaffen, aber auch um uns die relevanten Plätze im Prozess anzuschauen. Nachdem wir doch noch ein, zwei Stunden Schlaf abbekommen haben, starten wir abends bei „Krügli“ und Wiener Schnitzel unsere Delegationsbesprechung mit den restlichen Falken, die jetzt alle nach und nach im „roten Wien“ eingetrudelt sind, um die organisatorischen Dinge abzuquatschen, uns kennenzulernen und Erwartungen an die nächsten Tage auszutauschen. Für uns ist klar, am liebsten würden wir am Mittwoch wieder fahren, natürlich mit dem freigesprochenen Josef im Gepäck, aber eigentlich gehen wir davon aus, dass wir nicht das letzte Mal nach Wien fahren und der Prozess unnötig in die Länge gezogen wird. Wir erfahren an dem Abend auch, dass die sozialistischen Jugend Österreichs wieder eine Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude angemeldet hat und von dort aus per Live-Ticker vom „der Standart“ live vom Prozess berichten wird. Zudem werden die Filmpiraten und die Falken die Prozesstage auf Video festhalten und dabei hervorheben, dass es eine Farce ist, was die österreichische Justiz hier veranstaltet. Nun ging es aber auch langsam ins Bett, nachdem endlich alles abgeklärt war, liefen wir im warmen Sommerregen in Hostel, kurz E-Mails in der Lobby abchecken und dann legten wir uns schlafen.
Zweiter Prozesstag und Gruppenstunde mit der Vorsitzenden der sozialistischen Jugend Österreichs (SJÖ)
Am Montag hieß es dann nach einer kurzen Nacht früh aufstehen und schnell zum Gerichtsgebäude. Um 8.15 Uhr waren wir mit den GenossInnen der SJÖ verabredet und die ersten von uns gingen auch schon ins Gebäude und versuchten, einen der heiß begehrten Plätze im natürlich viel zu kleinen Saal zu ergattern. Als ich im Gebäude durch die Sicherheitskontrolle ging, begrüßte mich der Wachmann, nachdem er meinen Ausweis anschaute hämisch mit einem „ein echter Deutscher“. Im Aufzug hatte ich noch eine kurze Unterhaltung mit einem Polizisten, der direkt meinte, dass „der Prozess einem Rechtstaat unwürdig sei.“ Das war ja zumindest schon mal schön, solche Worte aus dem Mund des erklärten Feindbilds der politischen Linken zu hören. Polizisten sind ja auch nur BürgerInnen wie wir alle und nicht per se Kampfmaschinen im Schildkrötenpanzer. Oben vor dem Saal angekommen, konnte ich auch direkt wieder umdrehen. Um die 38 Plätze für ZuschauerInnen drückten sich bestimmt hundert ProzessbeobachterInnen. Also gings direkt wieder raus und ich nutzte die Zeit um den Ticker zu verfolgen, mit GenossInnen und PassantInnen zu schnacken und Egotronic durch die Musikanlage schallen zu lassen. Der Prozesstag verging ziemlich ereignislos, die Staatsanwaltschaft verhörte x BeamtInnen und MitarbeiterInnen der Stadtwirtschaft um die Fragen zu klären, ob jemand überhaupt Josef bei Gewalttaten beobachtet hat und ob die Stadtwirtschaft am nächsten Tag Pflastersteine, die als Wurfgeschosse dienten, gefunden und entsorgt hat. Die Beweislage der Anklage ist durchweg dünn, denn sie beruht nur auf der Aussage eines Zivilpolizisten, der sich an andere Umstände regelmäßig nicht erinnern kann, aber dennoch der festen Überzeugung ist, dass Josef all die Gewalttaten innerhalb kürzester Zeit begangen hat. Um 17.00 Uhr endete dann der Prozesstag und wir gingen erstmal in den Laden der SJÖ. Die SJÖ betreibt in allen Wiener Bezirken Läden, die als Freiraum für Jugendliche, aber auch als Anlaufpunkt für junge SozialistInnen dienen. Wir ruhten uns eine Weile aus, aßen in aller Ruhe und dann ging es in einen der Wiener Arbeiterbezirke, die geprägt sind vom sozialdemokratischen Wohnungsbau der letzten hundert Jahre. Dafür ist das „rote Wien“ übrigens bekannt, die Sozialdemokratie hat hier viele Versprechen des Sozialstaats schon früh verwirklicht. In einem der Quartiere besuchten wir die Gruppenstunde der SJÖ, bei der die GenossInnen einem Vortrag der Bundesvorsitzenden zur 120-jährigen Geschichte der SJÖ lauschten. Nach dem interessanten Vortrag ging es mit der SJÖ-Vorsitzenden noch in eine Kneipe und wir konnten mit ihr über das schwierige Verhältnis der kritischen Jugendbewegung zur Sozialdemokratie sprechen. Gerade in Österreich, das in der sogenannten „zweiten Republik“ fast durchweg von einer Koalition aus Sozialdemokraten und Konservativen regiert wird, ist das ein durchaus interessantes Thema.
Dritter Prozesstag und der Schuldspruch
Am dritten Prozesstag ging es wieder früh los und gleich zu Beginn gab es direkt eine Überraschung. Die Verteidigung verzichtete auf die Vernehmung von mehreren Polizisten, die sie als Zeugen vorgeschlagen hat. Vielleicht weil sie den Prozess nicht noch weiter in die Länge ziehen wollte, aber vielleicht auch weil sie sich von den Aussagen der Polizisten nicht mehr viel positives erhoffte. Es war auch der erste Tag, an dem Josef selbst etwas zu den Vorwürfen vor Gericht sagte. Er gestand ein, bei den Protesten anwesend gewesen zu sein und den Mistkübel, um den es sich im Prozess oft gedreht hat, nicht geworfen sondern wiederaufgestellt zu haben. Zu den anderen Vorwürfen sagte Josef ganz klar, dass er sich als unschuldig bekenne. Im letzten Satz seines kurzen Statements merkte er dabei noch an, dass er Linkshänder sei. Das war ein Schlag für die
Staatsanwaltschaft, so hatte sie doch angeführt, dass die Brandspuren an seinem rechten Handschuh doch der eindeutige Beweis dafür seien, dass er Brandsätze und Rauchbomben auf PolizistInnen und in Polizeiautos warf. Nach seinem Statement herrschte kurz ruhe im Raum, bis der Richter mit der Beweisaufnahme fortfuhr und Josef vorwarf, dass eine österreichische Sim-Karte doch ein genauso eindeutiger Beweis dafür sei, dass Josef als „Krawalltourist“ nach Wien kam und keine noblen Absichten hatte.
Als die leidige Beweisaufnahme endlich ein Ende fand, setzte der Richter das Plädoyer der Verteidigung an und schickte alle Beteiligten samt BesucherInnen in die Pause. Damit war klar, dass an diesem Tag ein Urteil fallen wird. Das Medieninteresse war natürlich noch gewachsen und so drängten nach der Pause noch mehr PressevertreterInnen in den Saal 203, um vom Plädoyer der Verteidigung zu berichten. Für mich war dieses Plädoyer das letzte, was ich im Gerichtssaal hörte. Das Plädoyer offenbarte einfach nur in Absolutheit, um was für eine politische Farce es sich hier handelt. So malte der Staatsanwalt, ein sichtlich konservativer Spießer in den 40ern, ein Bild von Josef als Terrorist und sorgte damit natürlich für Raunen im Raum und bezeichnete sein Schweigen als „Feigheit“ und Frechheit gegenüber dem Gericht.
Hier nochmal aus meiner Erinnerung:
Staatsanwalt: „Wer politische Ansichten mit Gewalt durchsetzen will, handelt als Terrorist. Das hat Josef getan“
– Gelächter und sichtliche Ungläubigkeit steht im Raum –
Richter: „Ich bitte Zu- oder Abneigungsbekundungen während des bist jetzt sehr sachlichen Plädoyers des Staatsanwalts zu unterlassen. Wem das Plädoyer nicht passt, sollte den Raum verlassen.“
Genau das taten wir dann auch, als der Richter die nächste Pause ansetze. Den weiteren Prozess, das Plädoyer der Verteidigung und den Schuldspruch verfolgten wir draußen bei den GenossInnen der SJÖ und der Antifa.
Das Plädoyer, zumindest so wie wir es über den Ticker wahrgenommen haben, muss eine Perle der Rhetorik gewesen sein und versetzte uns wenigstens ab und an in ein herzliches Lachen. Nach dem Plädoyer hieß es wieder warten, diesmal eine Stunde, und wir wurden natürlich immer nervöser. Wir wussten, dass es heute ein Urteil geben muss und um so länger wir warteten, desto weniger glaubten wir noch an einen Freispruch. Dann ca. 16.30 Uhr war es soweit, der Ticker schreibt: „schuldig“. Es herrscht Stille und eine Art Fassungslosigkeit vor dem Gerichtsgebäude. Im ersten Moment fühlten wir uns wohl alle auch ein bisschen hilflos, wir wussten das wir nicht mehr für Josef tun können und das wir daran jetzt erstmal nichts ändern können. Die lokale Antifa reagierte sofort und verteilte schon vorgefertigte Aufrufe auf denen stand „Egal wie es ausgeht: Am Samstag nach Tag X machen wir eine Großdemonstration durch Wien.“. Nach 5 Minuten kam der nächste Tweet „Gericht gibt gleich das Strafmaß bekannt“. Dann kam die langersehnte Meldung: 12 Monate, davon 4 unbedingt (8 zur Bewährung, 4 Haft). Josef saß sechs Monate. Josef kommt frei. Der Kampf ist gewonnen, wenn auch nicht politisch. Jetzt hat die Familie bist zum Freitag Zeit darüber zu beraten, ob sie in Revision gehen und den Urteilsspruch anfechten.
Konsequenzen für den zivilgesellschaftlichen Widerstand
Wir freuen uns natürlich sehr, dass Josef frei ist und seine Familie und FreundInnen in die Arme schließen kann. Aber ein politischer Sieg war dieser Prozess leider nicht, denn auch wenn er freigekommen ist, am Ende lautete der Urteilsspruch „schuldig“ und Josef ist stellvertretend für alle AntifaschistInnen verurteilt worden und dieses Urteil wäre nicht ohne eine breite und kritische Öffentlichkeit möglich gewesen. Die österreichische Justiz hat mit diesem Urteil klar gemacht, dass sie jeden und jede nach Belieben über den Gummiparagraf des Landfriedensbruchs (der wesentlich undefinierter als in der BRD ist) verurteilen kann und bekämpft somit die Zivilgesellschaft als Ganzes. Jede und jeder muss sich nun genau überlegen, ob er oder sie eine Demonstration besucht, denn auf jeder Demonstration könnte etwas passieren, was die Polizei aus ihrer Sicht als kriminell ansieht und damit ganze Gruppen in Haftung für die (oftmals konstruierten) Taten einzelner nehmen kann. Glücklicherweise kommen mit der Veurteilung von Josef auch erste Stimmen aus dem progressiven Lager der SPÖ und Grünen auf, die diesen Gummiparagraf abschaffen oder zumindest reformieren wollen. Auf den Verlauf kann man gespannt sein. Aber auch die Prozesse um den Wiener Akademikerball gilt es weiter zu verfolgen und den GenossInnen beizustehen. So setzt sich die politische Justizfarce zum Beispiel im August gegen den kommunistischen Gewerkschaftsjugendlichen Hüssein fort.
Für uns JungsozialistInnen muss klar sein, dass Antifaschismus egal ob in Thüringen, Wien oder sonst wo notwendig bleibt, zivilgesellschaftlicher Ungehorsam ein legitimes Mittel des politischen Kampfes ist und jeder und jede, der oder die von politischer Repression betroffen ist, unsere Solidarität genießt! – Siamo tutti antifacsisti!
Die Reise der Falken und der Jusos war notwendig und ein gutes Zeichen der Solidarität, aber vor allem war sie auch eine ganz besondere Erfahrung im „roten Wien“ und wir Jusos sollten die geknüpften Kontakte mit der SJÖ nutzen.
Kevin Groß
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