Der deutschen Kolonialvergangenheit wird im kollektiven Geschichtsbewusstsein Deutschlands eine untergeordnete Rolle zuteil. Dies ist nicht gerechtfertigt und erhält einen gefährlichen postkolonialen Chauvinismus. Die Sonderausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin nimmt sich der Aufarbeitung an, macht vieles richtig und kann doch erst ein Anfang sein.

von Benjamin Weiss

Unser Besuch der Sonderausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin fand im Rahmen der FES-Exkursion „Deutscher Kolonialismus – Vergangenheit oder Gegenwart?“ statt. Die Führung durch die Ausstellung dauerte etwas länger als die dafür veranschlagte Stunde, nicht zuletzt da wir Glück mit unserer ausgesprochen engagierten Museumspädagogin hatten, die sich bemühte alle aufkommenden Fragen zu beantworten, und dabei durchaus auch selbst Kritik an der Ausstellung übte.

Gleich zu Beginn wurde sich seitens der Kurator*innen sichtlich bemüht mit dem weitverbreiteten Bild des „unbedeutenden deutschen Kolonialismus“ aufzuräumen. Eine große Weltkarte mit den Grenzen und Kolonialgebieten der Kaiserzeit veranschaulicht den Besucher*innen direkt am Eingang die Größe der deutschen Kolonien, besonders im Sub-Sahara-Afrika. Dies ist nicht nur eine hübsch aussehende Spielerei, sondern eine dringend nötige Information. Die deutsche Kolonialzeit nimmt im kollektiven historischen Bewusstsein der Deutschen einen sehr untergeordneten, wenn überhaupt vorhandenen Platz ein. Das Wissen um diesen Umstand seitens der verantwortlichen Historiker*innen zieht sich durch die gesamte Ausstellung und ist ihre größte Stärke.

Die Brutalität der deutschen Kolonialherrschaft wird detailliert aufgezeigt. Abdrücke menschlicher Schädel, mit denen deutsche Wissenschaftler ihre Rassentheorien belegen wollten (und sich schließlich ihr Scheitern eingestehen mussten), und besonders Plakate für die Anfang des 20. Jahrhunderts besonders beliebten Völkerschauen führen den erschreckenden Zeitgeist vor Augen, mit dem Menschen zur Kaiserzeit auf andere Menschen herabblickten. Gleichzeitig wird anschaulich z.B. anhand eines Maschinengewehrs und der Militärischen Uniform und Ausrüstung der Ataris aufgezeigt, wie die kolonialen Herrschaftsstrukturen überhaupt funktionieren und aufrechterhalten werden konnten.

Ein Blickfang sind direkt hinter der Schlussakte der Berliner Konferenz T-Shirts und Fotos von Nachfahren der überlebenden Herero und Nama des Völkermordes von 1904. Die Motive und Aussagen sind martialisch und zeigen den Besucher*innen auf, dass die Diskussion um Entschädigungszahlungen, die hier in Deutschland in der Spitze eine mittlere Meldung in der Tagesschau waren, für diese Menschen Teil ihres alltäglichen Lebens sind. Hier hat die Ausstellung ihre klaren Stärken, sie rüttelt auf und gibt sich alle Mühe für einen Platz in der deutschen Erinnerungskultur zu streiten. Das ist gut und wichtig, und doch hätte sie so viel mehr sein können.

Unverständlich ist, warum in der Ausstellung nahezu ausschließlich auf die afrikanischen Kolonien Bezug genommen wird. Die Kolonialgebiete im Pazifik und der chinesische „Pachthafen“ Quingdao finden keine Beachtung. Dabei ist gerade Quingdao ein prägender Teil der deutschen Kolonialgeschichte, die „Hunnenrede“ von Kaiser Wilhelm II. ist ein prägnantes Zeugnis deutsch-kolonialer Grausamkeit.

Weiterhin leidet die Ausstellung unter unzureichend kritischen Umgang mit Exponaten. Viele Ausstellungsstücke stammen aus alten Kolonialbeständen. Diese alten Bestände bilden natürlich kein vollständiges Bild der Geschichte ab, vorhanden ist lediglich was in Geist und Propaganda der Kaiserzeit passte. Diese scheint durch die Kurator*innen nicht ausreichend hinterfragt worden zu sein, beispielsweise wurden ein halbes Dutzend Speere kommentarlos ausgestellt, ohne darauf zu verweisen, dass der antikolonialistische Wiederstand durchaus auch modern bewaffnet war.

Wie wir im Nachhinein erfuhren, wurde bei der Konzeption der Ausstellung wohl auch nicht der Kontakt und die Zusammenarbeit zu und mit lokalen Vereinen und Aktiven gesucht. Das ist schade, Fehler wie die unpassende Platzierung der Speere hätten durch das Einbringen anderer Perspektiven vermieden werden können. So bliebt die Ausstellung leider in weiten Teilen die beschränkte Perspektive deutscher, weißer Historiker. Das ist nicht per se schlecht, doch es wäre so viel mehr möglich gewesen.

So hing der Ausstellung für die Teilnehmer*innen unserer Exkursion leider der Nachgeschmack an, dass wieder einmal über, aber nicht mit Afrika gesprochen wird. Wenn wir aber eines aus unserer Kolonialzeit zu lernen verpflichtet sind, dann ist es miteinander in Dialog zu treten. Augenhöhe, sei es nun auf der zwischenstaatlichen oder der zwischenmenschlichen Ebene, ist der Grundstein für ein respektvolles und harmonisches Miteinander. Es wird eine der großen Aufgaben des 21. Jahrhunderts sein, Chauvinismus und Rassismus zu überwinden, denn nur so lässt sich eine dauerhafte Zukunft für die Menschheit in einer immer weiter globalisierten Welt erreichen. Die Anerkennung der historischen Schuld und der daraus folgenden Verantwortung ist ein erster Schritt. Entscheidend für die Zukunft wird der Darauf folgende Dialog sein.

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